Jazzcity.de mit freundlicher Genehmigung des Autors: Maximilian Hendler.
Author: Maren Wessels
Deutsche Jazzunion feiert ihr Jubiläums-Jazzforum in Marburg
Die Deutsche Jazzunion feiert im Juli 2023 ihr 50jähriges Bestehen und veranstaltet aus diesem Anlass vom 13.–15. Juli 2023 ein Jubiläums-Jazzforum am historischen Ort der Vereinsgründung im Jahr 1973.
Programm:
https://www.deutsche-jazzunion.de/jubilaeums-jazzforum/
46. RJR-Tagung in Mannheim – verschoben auf 2025/2026


„Medien. Macht. Musik: Jazz-Klischees in der Diskussion“
In Kooperation mit der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim, Tagungsort: N7 18, 68161 Mannheim
Wenn von einem Klischee die Rede ist, ist der Vorwurf nicht weit. Das gilt erst recht für improvisierte Musik wie dem Jazz. Bestimmte Jazz-Phänomene als „klischeehaft“ abzuwerten ist üblich; dem Stehen Aufwertungen durch Adjektive wie „authentisch“ gegenüber. Doch sind solche Urteile nicht schon selbst wieder klischeehaft?
Dies führt zur Überlegung, dass bestimmte Zuschreibungen nicht von vornherein als Klischees gegeben sind, sondern erst in einem Prozess nach und nach zu Klischees erstarren. Wodurch aber werden Zuschreibungen zu Klischees?
Hier kommt die Musik- und Medienindustrie ins Spiel, zusammen mit journalistischem und wissen-schaftlichem Reden bzw. Schreiben, aber auch Aussagen von Musikerinnen und Musikern selbst, die den Diskurs bestreiten. Durch allzu häufige, pauschale, also unreflektierte Verwendung eigentlich spezifischer Begriffe kann deren Semantik zum bloßen Etikett verfallen. Aber auch etwa dadurch, dass die Begriffe sich nicht mehr mit ihrer einstigen Bedeutung in Einklang bringen lassen, weil musikalische Entwicklungen bestimmte Ausprägungen hinter sich gelassen haben.
Doch bei der Diskussion von Klischees in der Musik im Allgemeinen und im Jazz im Speziellen kann es nicht nur um begriffliche Zuschreibungen gehen. Vielmehr geraten auch musikalische Phänomene in den Blick. Man denke nur an individuelle Licks oder den „eigenen Sound“ von Improvisierenden als Ausdruck einer originellen Persönlichkeit. Auch hier stellen sich analog die Fragen: Wie lange kann ein individuell geprägter Lick oder der „eigene“ Sound als Kriterium für Authentizität gelten? Wodurch und wann erstarren solche Eigenheiten zum Klischee?
Doch selbst die eindeutig negative Konnotation von Klischees lässt sich hinterfragen. Denn: Werden gelingende Jazz-Prozesse nicht gerade auch durch jeweils aktualisiertes improvisatorisch-kreatives Zu-sammenspiel mit Klischees deutlich? Und: Braucht das Sprechen und Schreiben über Jazz für einen kommunikativ gelingenden Diskurs nicht auch Klischees?
Verschiedene mediale und musikalische Facetten geraten in den Blick: Hans-Jürgen Linke bespricht Fragen zum Wechselspiel zwischen Jazz und Medien: Wie können Medien den Charakter der Musik, die sich auf ihnen verbreitet, beeinflussen? Oder schafft sich die Musik ihr angemessenes Medium? Jürgen Arndt hinterfragt die Funktion von Klischees im Diskurs wie in der Praxis des Jazz. Stefan Hentz, Michael Rüsenberg und Arne Schumacher diskutieren – nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihrer eigenen jahrzehntelangen journalistischen Erfahrungen – allgemeine Fragen und konkrete Beispiele von Klischees. Kai Lothwesen untersucht Klischees, die sich in den 1960er Jahren zum Free Jazz gebildet haben. Gabriele Maurer befragt gegenwärtige Social-Media-Aktivitäten von Musikerinnen und Musikern nach Art und Funktion von Klischees zur Präsentation ihrer Jazz-Aktivitäten. Schließlich weitet Christofer Jost den Blick über den Jazz hinaus; er befasst sich unter der Überschrift „Formeln der Könnerschaft“ mit verschiedenen Ausprägungen des Virtuosen in populären Musikformen.
Tag 1
Hans Jürgen Linke (Gießen): Medien machen Musik
Jürgen Arndt (Mannheim): Notwendigkeit und Fragwürdigkeit von Klischees im Jazz
Podiumsgespräch zu Klischees im Jazz mit Stefan Hentz (Hamburg), Michael Rüsenberg (Köln), Arne Schumacher (Bremen) [Moderation: Jürgen Arndt]
Tag 2
Kai Lothwesen (Trossingen): Free Jazz-Klischees
Gabriele Maurer (Mannheim): Jazz-Klischees in Social Media
Christofer Jost (Freiburg): Formeln der Könnerschaft. Über Virtuosität in den artistischen Praktiken der populären Musik
Änderungen vorbehalten, Programm, Stand 26.4.2023
Call for Papers für die 8. Rhythm Changes Conference: Jazz Encounters
46. RJR Tagung in Mannheim

„Medien. Macht. Musik: Jazz-Klischees in der Diskussion“
In Kooperation mit der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim
19./20. Oktober 2023
Wenn von einem Klischee die Rede ist, ist der Vorwurf nicht weit. Das gilt erst recht für improvisierte Musik wie dem Jazz. Bestimmte Jazz-Phänomene als „klischeehaft“ abzuwerten ist üblich; dem Stehen Aufwertungen durch Adjektive wie „authentisch“ gegenüber. Doch sind solche Urteile nicht schon selbst wieder klischeehaft?
Dies führt zur Überlegung, dass bestimmte Zuschreibungen nicht von vornherein als Klischees gegeben sind, sondern erst in einem Prozess nach und nach zu Klischees erstarren. Wodurch aber werden Zuschreibungen zu Klischees?
Hier kommt die Musik- und Medienindustrie ins Spiel, zusammen mit journalistischem und wissen-schaftlichem Reden bzw. Schreiben, aber auch Aussagen von Musikerinnen und Musikern selbst, die den Diskurs bestreiten. Durch allzu häufige, pauschale, also unreflektierte Verwendung eigentlich spezifischer Begriffe kann deren Semantik zum bloßen Etikett verfallen. Aber auch etwa dadurch, dass die Begriffe sich nicht mehr mit ihrer einstigen Bedeutung in Einklang bringen lassen, weil musikalische Entwicklungen bestimmte Ausprägungen hinter sich gelassen haben.
Doch bei der Diskussion von Klischees in der Musik im Allgemeinen und im Jazz im Speziellen kann es nicht nur um begriffliche Zuschreibungen gehen. Vielmehr geraten auch musikalische Phänomene in den Blick. Man denke nur an individuelle Licks oder den „eigenen Sound“ von Improvisierenden als Ausdruck einer originellen Persönlichkeit. Auch hier stellen sich analog die Fragen: Wie lange kann ein individuell geprägter Lick oder der „eigene“ Sound als Kriterium für Authentizität gelten? Wodurch und wann erstarren solche Eigenheiten zum Klischee?
Doch selbst die eindeutig negative Konnotation von Klischees lässt sich hinterfragen. Denn: Werden gelingende Jazz-Prozesse nicht gerade auch durch jeweils aktualisiertes improvisatorisch-kreatives Zu-sammenspiel mit Klischees deutlich? Und: Braucht das Sprechen und Schreiben über Jazz für einen kommunikativ gelingenden Diskurs nicht auch Klischees?
Verschiedene mediale und musikalische Facetten geraten in den Blick: Hans-Jürgen Linke bespricht Fragen zum Wechselspiel zwischen Jazz und Medien: Wie können Medien den Charakter der Musik, die sich auf ihnen verbreitet, beeinflussen? Oder schafft sich die Musik ihr angemessenes Medium? Jürgen Arndt hinterfragt die Funktion von Klischees im Diskurs wie in der Praxis des Jazz. Stefan Hentz, Michael Rüsenberg und Arne Schumacher diskutieren – nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihrer eigenen jahrzehntelangen journalistischen Erfahrungen – allgemeine Fragen und konkrete Beispiele von Klischees. Kai Lothwesen untersucht Klischees, die sich in den 1960er Jahren zum Free Jazz gebildet haben. Gabriele Maurer befragt gegenwärtige Social-Media-Aktivitäten von Musikerinnen und Musikern nach Art und Funktion von Klischees zur Präsentation ihrer Jazz-Aktivitäten. Schließlich weitet Christofer Jost den Blick über den Jazz hinaus; er befasst sich unter der Überschrift „Formeln der Könnerschaft“ mit verschiedenen Ausprägungen des Virtuosen in populären Musikformen.
Donnerstag, 19.10.2023, 13-18 Uhr, Kammermusiksaal
Hans Jürgen Linke (Gießen): Medien machen Musik
Jürgen Arndt (Mannheim): Notwendigkeit und Fragwürdigkeit von Klischees im Jazz
Podiumsgespräch zu Klischees im Jazz mit Stefan Hentz (Hamburg), Michael Rüsenberg (Köln), Arne Schumacher (Bremen) [Moderation: Jürgen Arndt]
Freitag, 20.10.2023, 9-13 Uhr, Kammermusiksaal
Kai Lothwesen (Trossingen): Free Jazz-Klischees
Gabriele Maurer (Mannheim): Jazz-Klischees in Social Media
Christofer Jost (Freiburg): Formeln der Könnerschaft. Über Virtuosität in den artistischen Praktiken der populären Musik
Änderungen vorbehalten, Programm, Stand 26.4.2023
Vorschau: Zwei RJR-Tagungen bieten wir in 2024 an:

Tagungen 47.-48. Radio Jazz Research-Themen in Bad Goisern und Siegburg
47. RJR-Thema:
Jazz in den europäischen Medien. Historische Betrachtungen und aktuelle Strömungen
Im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl, Salzkammergut 2024: 25.-26. April 2024
48. RJR-Thema:
Zur aktuellen Situation der Medien im Jazz
Siegburg, 13.-14. September 2024
Tagungsbericht 44. RJR Tagung in Münster
44. RADIO JAZZ RESEARCH-Tagung
„Wildcard“
Ein Bericht von Stefan Hentz
Auch bei der 44. Arbeitstagung der Arbeitsgruppe Radio Jazz Research, die zu Jahresbeginn in Münster stattfand, zeigte sich wieder einmal, dass es im Bereich Jazz häufig gerade die offenen Situationen sind, in denen sich – Zufall oder nicht – erstaunliche Tiefenbohrungen beobachten lassen. So verhielt es sich zum Beispiel bei dieser nicht durch ein gemeinsames Oberthema auf Linie gebrachten Tagung, das schon die Reibung zwischen den ersten drei Referaten die Tagung auf Betriebstemperatur brachte. Alle drei Vorträge fokussierten Grundsätzliches und arbeiteten daran, den Diskurs aus dem fluffigen Reich der Mythen in die Realwelt des Konkreten zurück zu verpflanzen, dorthin, wo klare Begriffe und Definitionen zählen.
Mit dem Begriff der Innovation im Jazz hatte sich der Siegburger Kommunikationswissenschaftler Michael Krzeminski einem Thema zugewandt, das als Qualitätsmaßstab im Jazz – also unter den Musikern und Akteuren – als expliziter Begriff eher nicht vorkommt, im alltäglichen Gespräch von Jazz-Rezipienten, von Fans und Experten, untergründig jedoch höchst präsent ist. Zumindest im Sinne der Ablehnung von schierer Epigonalität oder eines andauernden ästhetischen Stillstands ist die Forderung nach Innovation eine stete Begleitmusik der Beurteilung von Jazz. Mit dem Begriffsbesteck des Soziologen entwickelte Krzeminski die verschiedenen Komponenten des Begriffs „Innovation“ – als komplexen Vorgang und Gegenbegriff zu der mit Wirkmacht weniger aufgeladenen „Novität“. Innovationen seien „als Ergebnis einer gesellschaftlichen Abstimmung über die Akzeptanz technischer Neuerungen/Verbesserungen“ aufzufassen, „das Neue und Bessere“ gelte nur dann als Innovation, „wenn es einen sozial akzeptierten Sinn erfüllt“. Mit Nachdruck entwickelte Krzeminski dabei die Komplexität der soziologischen Perspektive auf den Begriff der Innovation, nach der technische Neuerung sich nur dann in ihrem gesellschaftlichen Umfeld durchsetzen kann, wenn sie bei einem Besonders interessierten Fachpublikum mit der wirtschaftlichen und der technischen Kapazität, die neue Technik zu verbreiten, auf Resonanz stößt und sich in einem Fünfsprung von der Ingeniosität der Neuerung über ihre Publizität in der interessierten Öffentlichkeit und ihre später Inszenierung für ein breiteres Publikum über den Status einer vergänglichen Episode hinaus schließlich zum Signum einer ganzen Epoche entwickelt.
Provoziert von Vorschlägen aus der deutschen Jazzszene, Jazzhochschulen in «Black American Music Institutes» umzutaufen, und damit eine Art Eigentumstitel auf die musikalische Kunstform Jazz zu etablieren, der in der Konsequenz eine Hierarchie der Zugriffsberechtigung auf das Erbe des Jazz beinhalten würde, ging der Kölner Publizist Michael Rüsenberg unter der plakativen Überschrift „Wem gehört der Jazz“ den derzeit in den USA (und – mangelhaft übersetzt – längst auch in Europa und Deutschland) verbreiteten Bestrebungen nach, den Jazz als urwüchsig afroamerikanische Kunstform zu definieren und ihn moralisch im Sinne seines Ursprungsmythos für den Dienst an der Community der afroamerikanisch dominierten Gründer der Kunstform zwangszuverpflichten. Zunächst rekonstruierte Rüsenberg ein Thesengebäude des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers und Jazz-Forschers Gerald Early, der seine Abwehr einer „europäischen Jazz-Sensibilität“ an der nicht swingenden Improvisationsmusik von Keith Jarretts Köln Concert festmacht. Nach Early sei der Erfolg dieser Musik nur dadurch plausibel zu begründen, dass dem Publikum erst in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre deutlich wurde, dass Jarrett nicht afroamerikanischer Abstammung ist. Jarrett habe, das konzidiert Early, „sich nicht absichtlich“ als Schwarzer ausgegeben, aber „als sein Publikum in den späten 1970er Jahren sein Weißsein erkannte, hatte er in gewisser Weise das Problem der Authentizität in Verbindung mit dem Begriff des Privilegs neu aufgeschrieben.“ Und konnte damit erst so erfolgreich werden, wie er wurde. So schlicht konstruiert Early seine Gleichsetzungen zwischen Hautfarbe, Herkunft, sozialem Status, und einem Blutsrecht darauf, erfolgreich sein zu können. Ähnliche Argumentationsfiguren weist Rüsenberg in der Verschriftlichung eines Vortrags nach, den der Flötist und „Antirassist in der deutschen Jazzausbildung“, Vincent Bababoutilabo, beim 17. Deutschen Jazzforum 2021 in Darmstadt gehalten hat. Bababoutilabo, der von sich sagt, dass ihm das Hören von John Coltranes „Alabama“ den entscheidenden Impuls gegeben habe, sich politisch als Aktivist im Sinne antirassistischer Bildungs- und Organisationsarbeit zu engagieren. Doch seit er begonnen hat, in Leipzig Jazzflöte und Musikpädagogik zu studieren, sei ihm dieser Anschub in Richtung seines politischen Aktivismus nicht wieder begegnet, zumindest nicht als Teil des Studienprogrammes. Im Gegenteil, In einer etwas unvermittelten Abgrenzung zu der Musik von Beethoven, auf die sich Bababoutilabo zufolge „Menschen weltweit beziehen können, ohne dass die Musik und ihre Geschichte dabei weniger aufklärerisch werden“, ist die „Black Music“ offenbar weniger immun. „Wenn sich die Institute der sogenannten „westlichen Hochkultur“ Schwarze Musik aneignen, wird sie irgendwie weniger subversiv und weniger Schwarz.“ Bababoutilabos Schlüssel für diesen Widerspruch? Rassismus, ein Wort, das Bababoutilabo ohne jedwede Bemühung um kontextualisierende Differenzierung als ein Synonym für die Vorstellung eines privilegierten (=weißen) Bevölkerungsteils, anderen Bevölkerungsgruppen überlegen zu sein, versteht. Unter Ausblendung jedweder Diversität menschlichere Zugehörigkeiten und Seinsformen bleibt Bababoutilabo hier in recht plumpen Dichotomien verhaftet, schwarz – weiß, privilegiert – nicht privilegiert, deren konsequente Anwendung neue Kontaktsperren- und Zugriffshierarchien zu den Quellen und den Gründungsmythen des Jazz erzeugen würden. Beiträge europäischer oder gar weißer Akteure – von Akteurinnen ist in diesem Zusammenhang eher nicht die Rede – stehen in dieser Sicht eher nicht zur Debatte. Entstanden als eine afroamerikanische Musikform und damit per ethnischer Zugehörigkeit widerständig, besteht die Notwendigkeit, ihn gegen Vermischungen und Verstöße gegen Reinheitsgebote und andere Einflüsse aus der weißen Welt der Privilegien, zu imprägnieren.
Der Idee eines Primordialismus, der davon ausgeht, dass Gemeinschaften und Identitäten auf einer »wirklichen«, substantiellen Gemeinsamkeiten gründen, die wiederum bestimmte kulturelle Verfahren hervorbringen, korrespondiert ein weiterer Begriffskomplex, der derzeit in den Diskursen um den Jazz Konjunktur hat: der Begriff der „kulturellen Aneignung“, zumeist im Umfeld von kulturellen Begegnungen und Vermischungsprozessen in Form der Klage über die kulturelle Enteignung einer – aus welchen Gründen auch immer – unterlegenen Kultur durch die nun siegreiche Dominanzkultur. Auf derartige Debatten über Identitäts- und Besitzverhältnisse im Bereich des Jazz bezog sich Gerhard Putschögl (Frankfurt/Main) in seinem Referat „Reinterpretation/Covering unter der Perspektive der ‚kulturellen Aneignung’“. In einem ersten Schritt stellte Putschögl zwei widerstreitende Positionen zum Konzept der kulturellen Aneignung vor. Während der Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst in seinem Buch Kulturelle Aneignung (2021) die Standarddefinition der kulturellen Aneignung als „eigenmächtige Übernahme von Elementen einer unterdrückten Kultur durch die Angehörigen einer Dominanzkultur“ ausbreitet und die Frage nach der Gleichberechtigung der beteiligten Kulturen in den Fokus rückt, hält die Philosophin Ursula Renz schon die Idee eines „kulturellen Eigentums“ für problematisch: „Denn Kultur ist immer auch Kulturtransfer.“ Dabei stellt sie nicht in Frage, dass es in den Debatten um „kulturelle Aneignung“ vor allem um die Wahrnehmung von Status- und Machtgefällen zwischen einer dominanten und einer Minderheiten-Kultur. „Aber das Aneignen selber, das ist Kultur. Das finden wir in der ganzen Kulturgeschichte immer wieder: in der Literatur, in der Musik, in der Philosophie.“
Anschließend diskutierte Putschögl die widerstreitenden Interessen bei der kulturellen An-/ Enteignung von musikalischen Formen im Bereich der Jazz- und Popmusikgeschichte anhand der zentralen Kriterien Respekt vs. Profitinteresse. Musiker wie die Trompeter Don Ellis oder Don Cherry oder der Gitarrist John McLaughlin, die sich intensiv mit den Musikkulturen beschäftigt haben, aus denen sie Elemente für ihre eigene Musik übernommen haben, seien demnach ebenso legitim wie in einer viel früheren Periode des Jazz die Übernahme von Elementen der Formensprache des Jazz ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob diese ihr Publikum vielleicht stören könnten. Prominente Gegenbeispiele wären die Original Dixieland Jass Band, eine rein weiße Band, die 1917 eher aus Zufall als aus musikalischer Relevanz die „erste“ Schallplatte mit Jazz (in dem Sinne, dass Jass im Namen der Band auftauchte und der Begriff Jass oder wenig später Jazz fortan als Gattungsbezeichnung weiterlebte) einspielten und mit Selbstbezeichnungen wie Columbus of Jazz (für den Bandleader und Kornettisten Nick LaRoca) schon frühzeitig die Klaviatur des Marketing bespielte.
Wie schwer es manchmal sein kann, zu unterscheiden zwischen Selbst-Identifikation mit einem bestimmten Musikstil und seiner Ausschlachtung für kommerzielle Zwecke, erläuterte Putschögl schließlich am Beispiel von Sting, dessen musikalischer Werdegang stark vom Einfluss des Reggae geprägt war, was ihm in den letzten Jahren einige Kritik unter dem Stichwort kulturelle Aneignung bescherte. Aufgewachsen in einem Viertel, in dem viele Bewohner aus Jamaica stammen, war er schon früh vertraut mit dem Reggae und betonte immer wieder, wie verbunden er dieser Musik und ihren Schöpfern ist. Deutlich wird an dieser Stelle, wie wacklig Zuordnungen zu bestimmten Gruppenidentitäten sind: Sprache, Religion, Race z.B., so schloss Putschögl, seien äußerst unzuverlässige Indikatoren.
Ein zweiter Themencluster thematisierte die Instrumentalisierung des Jazz im Kulturkampf der Systeme zur Zeit des Kalten Krieges. Konstantin Jahn (Dresden) verfolgte in „Henry Pleasants oder die Jazz-Hipster der CIA“ die Versuche des Leiters des CIA-Büros in Bonn, mittels des Freiheitsversprechens, das man dem Jazz (und auch der abstrakten Malerei) zuschrieb, kulturelle Geländegewinne gegenüber der zweifelhaften Attraktivität des sogenannten „realen Sozialismus“ zu erzielen, und stieß dabei auf eine sehr eigentümliche Balance zwischen der erstaunlichen kulturellen Modernität des Kreises um Henry Pleasants (und auch auf Seiten seiner deutschen Gegenüber in der Organisation um den umstandslos entnazifizierten Nazigeneral Reinhard Gehlen) und der Bereitwilligkeit ihrer Dienstfertigkeit im Umfeld ihrer geheimen Aktivitäten im Nebel des Kalten Krieges.
Als symmetrisches Gegenstück hierzu fungierte Rüdiger Ritters (Mainz) Vortrag „Ein zweischneidiges Schwert“, der seinerseits die Bemühungen, den Jazz seitens der Sowjetpropaganda in den Ländern des Warschauer Pakts nutzbar zu machen, darstellte. Ritter stellte dabei die verschiedenen Phasen dar von der offenen Verunglimpfung des Jazz als Ausdruck einer dekadenten Lebensweise über den Versuch seiner Domestizierung durch die Übernahme einzelner Elemente des Jazz über die Förderung des Volkslieds als Gegenmodell zur Abstraktion des modernen Jazz bis hin zu Versuchen der erstickenden Umarmung inklusive der persönlichen Einladung an den Radio-DJ Willis Conover, der im Gegenzug half, die Jazzszenen in den Ländern des Ostblocks zu vernetzen und ihren musikalischen Protagonisten auch im Westen bekannt zu machen.
Nach einer kurzen Aktualisierung, die Iwan Wopereis’ (Rotterdam) zum Fortgang seiner empirischen Erhebung „Music experts› knowledge on improvisational expertise: The RJR case“ auch über den Arbeitskreis Radio Jazz Research selbst angefertigt hatte, beschloss Christian Rentschs (Zürich) düsterer Bericht über jüngste Etat-, Sendeplatz- und Seriositäts-Kürzungen beim öffentlichen Schweizer Rundfunk unter dem Titel „Die Misere der Jazzkritik“, die einer ernstzunehmenden Jazzkritik kaum noch einen Hub Luft zum Atmen lassen, die Tagung.
Inntöne Festival 21.-23. Juli 2023 in Diersbach

Musik aus dem hohen Norden und tiefen Süden:
Die Inntöne gehen wieder auf Weltreise

Ein Festivalbericht von RJR-Mitglied Oliver Weindling
Inntöne proves Radio Jazz Research is not only about radio and jazz is totally wrong. And, with its Austrian ‘Ehrenmitglied’ Paul Zauner, it has a live music promoter here in his element. Carefully curating, being the genial host, on his own family farm.
Through his diligent research, we have a great idea of the cross section of quality jazz and improvised music which is around. Hardly as intimate as a club such as the Vortex, there is nevertheless a contact with musicians and indeed Zauner, who is often to be seen in the audience with a broad grin as he appreciates the music.
More than enough space for all, and an excellent choice of food and drink, the festival this year experimented and grew, using better its spaces such as the barn, where the festival used to be focussed before Covid.
While the music more than nods to its American roots, the selection of musicians had a strong European feel, as well as a great diversity.
There were a couple of ‘tributes’. First, more directly, a reworking of Mingus’s classic “The Black Saint and The Sinner Lady”, by saxophonist Clemens Salezny and Gregor Aufmesser, which allowed us to realise how a live performance of a classic can really add to our appreciation; and the other, more indirectly, David Helbock’s Austrian Syndicate, dedicated in name at least to Joe Zawinul, the Austrian keyboard trailblazer. Helbock is very much at the forefront of the band, relishing the opportunity to experiment, almost hyperactively, on his set of keyboards. Tempered by pianist Peter Madsen (equally a father figure of the Austrian scene especially in the west of Austria from where Helbock comes) and a trio of bass, percussion and drums. They balance the high energy and electricity which Helbock delivers.
The Austrian Syndicate was one of the daily energetic openers which would wake us up for the music ahead.
Similarly, we heard baritone saxophonist Helga Plankensteiner on Saturday with a tribute to the music – and outgoing personality – of Jelly Roll Morton. We were reminded of his other activities, such as gambler and pimp, as well as giving us a strong argument for his claim that he ‘invented’ jazz. A band which focussed on the lower registers, since in addition to Plankensteiner was bass clarinettist Achille Succi, sousaphone and drums.
Sunday’s opener was exciting as it was a chance to hear the first gig in a while of Tom Challenger’s Brass Mask. By slightly changing the lineup, apparently by force of circumstance as much as volition, he had an extra trumpet in Byron Wallen (who also doubled beautifully on conch shell) and used Caius Williams on electric bass (instead of tuba). It gave a good basis for new compositions, which were added to some of the band’s New Orleansy stalwarts.
Brass Mask was one of a particular feature on bands from London, of quite a variety. Xhosa Cole brought his quartet, and mesmerised with his Monk tunes in particular (where he brought on Byron Wallen and George Crowley as guests) but was highlighted by a solo version of Round Midnight.
There was also Freight Train, with Irish folk diva Cathy Jordan , egged on by Liam Noble and Paul Clarvis. Jordan is quite a blues shouter, and, behind her, Noble and Clarvis delivered their (dis)respectful takes on the music.
Zara MacFarlane took, I think, a couple of tunes to warm up. But by the end she had the audience in raptures with her jazz fused with soul, and her bubbly personality.
The other band from London was very different. Alexander Balanescu came with his string quartet. Perhaps best known nowadays for his arrangement of the University Challenge theme on TV, here he showed why this band had been at the forefront of the diversification of the string quartet repertoire. Especially effective was his violin rhapsodizing in the style of Romanian and Balkan folk musicians, reflecting his own roots in Romania.
Perhaps the closest to an ‘American’ quartet was that of saxophonist Hermon Mehari, born and brought up in Kansas. But the name of the group ‘Asmara’ gives away his Eritrean roots, which are subtly infused through the set.
There was a strong focus on woman performers in addition to those mentioned above. Pianist Johanna Summer played a solo set, building on her classical reinterpretations. Then there were three all-female bands. Two contrasting trios, with ECM saxophonist Mette Henriette, playing a minimalistic Nordic set with piano and cello, and the punkish, heavy groove of the high energy French band Nout (on which more in Alison Bentley’s review from Suedtirol). The repertoire could have felt unexpected with instrumentation of flute, harp and drums, as it grew from a quieter minimalistic start.
But also the all-star Scandinavian band of mesmerising percussionist Marilyn Mazur. Shamania gives a good indication of spirituality, here from a more northerly perspective, much of the music dating from the need to find new alternatives during lockdown. Balancing energy and giving a lot of freedom for musicians such as Danish saxophonist Lotte Anker, Norwegian trumpeter Hildegun Oiseth and Josefina Cronholm.
As much as the openers each day set us up, the closers on the main stage also balanced showmanship and technique. Brazilian accordionist Renato Borghetti, who played instruments of all sizes, was matched by the virtuosity of the rest of his band, reeds Pedro Figuereido, guitarist Daniel Sa and pianist Vitor Peixoto. And, finally on Sunday, Vieux Farka Toure built up the pace and volume steadily in a performance of desert blues, so that, by the end, we were all dancing as darkness fell.
But that wasn’t all, since the event also had us enjoying the history of jazz (in the farm’s barn) using some of the few US band leaders there, with Chanda Rule’s Sweet Emma band and veteran gospel/blues singer Janice Herrington and the jam in the pub (pigsty). By the way, on these we had a festival first, in that Paul Zauner broke one of his own rules of the festival, and joined in on trombone, only the second time in the 30+ years of the festival, he had blown his own instrument. Then on Sunday night the jam was graced with legendary 86-year old Kirk Lightsey, who had rushed over from London. Sounding like someone less than half his age, he played with an imagination that really placed him in the pantheon of Detroit great pianists which included Barry Harris and Tommy Flanagan. It boosted the rest of the band (led by Dmitry Baevsky on alto and Joe Manarelli on trumpet) who had already played well enough the night before with Oliver Kent on piano.
Wahlen
Bei der Mitgliederversammlung der 45. RJR-Tagung in Gütersloh (11. Mai 2023) wurden gewählt: In den Vorstand: Lena Jeckel, Oliver Weindling und Dr. Bernd Hoffmann, In den Beirat: Christa Bruckner-Haring, Dr. Andreas Felber und Arne Schumacher.
45. RJR-Arbeitstagung in Gütersloh | 11. – 12. Mai 2023


Ort: Stadthalle Gütersloh // Hotel: Holiday Inn
45. RADIO JAZZ RESEARCH-Tagung
„Jazz und Kommunalpolitik“
In Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Gütersloh.
Programm Lena Jeckel / Bernd Hoffmann
Moderation: Arne Schumacher
„Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt“, sagt der chinesische
Philosophen Laotse vor vielen Jahrhunderten. „Alles Globale beginnt lokal“, lautet die leicht
zugespitzte Übersetzung, die die Arbeitsgruppe Radio Jazz Research, einem internationalen
Kreis von Diskurs-Agenten aus Jazz-Wissenschaft, -Publizistik und anderen Jazz-bezogenen
Arbeitsfeldern ihrer 45. Arbeitstagung unterlegt hat. Das Globale und das Lokale: „Jazz und
Kommunalpolitik“ ist das Thema einer Tagung, die Ansatzpunkte für viele erste Schritte
fokussiert.
Nach der Begrüßung de Teilnehmer:innen durch Andreas Kimpel, Kulturdezernent der Stadt
Gütersloh und den RJR-Vorsitzenden Bernd Hoffmann, bezieht sich der erste Teil der Tagung
auf das harte Brot der kommunalen Kulturpolitik. Die Geschäftsführerin des Kultursekretariats
NRW, Antje Nöhren, referiert über Potentiale der Förder- und Netzwerkstrukturen für die
Kultur in NRW und als Vertreter der Deutschen Jazz Union spricht Jan Monazahian über
Regionale Aspekte der Jazzvermittlung und Demokratieförderung. Im Anschluss kommt es zu
einem Gesprächspodium mit Andreas Kimpel, Emilian Tantana vom Jazzclub Bad Ischl und
Arnd Weidler vom Deutschen Jazzinstitut in Darmstadt.
Sozusagen nachholend entwirft der Psychologe, Jazz-Aktivist und Medienmacher Constantin
Sieg am folgenden Vormittag ein sehr konkretes Bild von der Jazzwirklichkeit in der
oberhessischen Provinz zwischen Bad Hersfeld und Universitätsstadt Marburg, die nicht nur
als Gründungsort der Union Deutscher Jazzmusiker (heute: Deutsche Jazz-Union) vor 50
Jahren eine wichtige Rolle in der Geschichte des deutschen Jazz spielte. Paul Zauner, Musiker
und Konzert- sowie Festivalveranstalter aus der österreichisch-deutschen Donauregion
hinterleuchtet das Zusammenspiel zwischen universitärer Jazzausbildung und den Fallstricken
der befassten Kommunalpolitik, während der Radiomoderator und -Autor Thomas Mau ein
Thema mit hoher politischer Relevanz unter seine Lupe nimmt: die wechselseitige Befruchtung
zwischen Rundfunkanstalten und dem vielgestaltigen Jazzleben in den Regionen, die sich seit
der Gründung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach dem 2. Weltkrieg immer
wieder bewährt hat.
Stefan Hentz
PROGRAMM:
Donnerstag: 11. Mai 2023, Raum K 21
Begrüßung: Kimpel /Hoffmann
15.00 Uhr:
Antje Nöhren (Kultursekretariat NRW, Gütersloh):
Potenziale der Förder- und Netzwerkstrukturen für die Kultur in NRW
16.00 Uhr:
Jan Monazahian (DJU):
Politisch gebildet dank Jazz?
Einblick in regional verankerte Modellprojekte
17.00 Uhr:
Diskussion: Jazz und Kommunalpolitik
Mit Andreas Kimpel (Stadt Gütersloh), Emilian Tantana (Jazzclub Ischl), Stefan Hentz (Freier Journalist)
18.00 Uhr:
Mitgliederversammlung mit Wahlen
20.00 Uhr Abendessen: Alex, Sprenger Str. 11, Gütersloh: 05241 16877
Freitag: 12. Mai 2023, Raum K 21
9.30 Uhr:
Constantin Sieg (RJR):
Bilder aus der Provinz
10.30 Uhr:
Paul Zauner (Festival InnTöne):
Verlinkungen: Universitäre Jazz Ausbildung & Kommunalpolitik
11.30 Uhr:
Thomas Mau (Freier Journalist, WDR):
„Gut zu haben, aber nicht relevant“
Das Verhältnis zwischen Rundfunkanstalten und der Festival-Szene
13.00 Uhr Mittagessen