Tagungsbericht 47. RJR Tagung in Bad Goisern

47. RJR Tagung
Im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl, Salzkammergut 2024

Jazz in den europäischen Medien.
Historische Betrachtungen und aktuelle Strömungen

Bad Goisern, Goiserer Mühle 24.- 26. April 2024

In ihrer 47. Arbeitstagung in Bad Goisern fokussierte die Arbeitsgruppe Radio Jazz Research ihr Thema auf die Beziehungen zwischen Jazz und den Medien Hörfunk und TV, eine zweitägiges Meeting im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas (Salzkammergut 2024), maßgeblich unterstützt von den Jazzfreunden Bad Ischl und ihrem vitalen Konzertprogramm.

Schon bei der ersten Präsentation, in der die Amsterdamer Medienwissenschaftlerin Carolyn Birdsall von ihren Recherchen in europäischen Rundfunkarchiven aus den Jahren 1930-1940 berichtete, spielte das Thema der Speicherung und Bewahrung von Sendematerial, konkret der Aufzeichnung von Musik im Allgemeinen und von Jazz nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch klang schon an dieser Stelle sehr deutlich eine Grundüberzeugung durch, die im Grunde genommen in allen Beiträgen der Tagung in jeweils modifizierter Form formuliert wurde: Die Arbeit an der Geschichte der Wechselbeziehungen zwischen dem Rundfunk und einer künstlerisch inspirierten Form von Musik wie dem Jazz ist Arbeit an einem aufgeklärten Selbstverständnis der europäischen Gesellschaften zu ihrer Vergangenheit und also zu sich selbst.

Die zentrale Bedeutung einzelner Protagonisten für die weltweite Verbreitung des Jazz unterstreicht die Arbeit des Historikers und Musikwissenschaftlers Rüdiger Ritter, der den medialen Marketing-Strategien und der Wirkung der Arbeit des legendären US-Radio-DJ Willis Conover nachforscht. Conover hatte von 1955 bis kurz vor seinem Tod 1996 in einem Strauß von Hörfunksendungen auf dem US-amerikanischen Auslandssender „Voice of America“ die frohe Botschaft des Jazz in die Welt getragen und ganz besonders in die Teile der Welt, die hinter dem Eisernen Vorhang lagen. Conover transportierte nicht nur amerikanischen Jazz in den sogenannten Ostblock, sondern baute bei seinen Festivalbesuchen in Polen und der Tschechoslowakei, in Ungarn und der Sowjetunion mit seinem Interesse an der dort entstehenden Jazzmusik eine Rückkopplungsschleife auf, die den Jazz vor Ort  in das internationale Programm hob und damit wiederum die lokalen Szenen bestärkte.

Drei Referenten, der Jazz- und Medienforscher und frühere WDR Jazzredakteur Dr. Bernd Hoffmann, Tim Wall, Professor of Radio and Popular Music Studies aus Birmingham und Dr. Andreas Felber, aktueller Jazzredakteur bei Ö1 in Wien, thematisierten die Bedeutung der Vermittlungsarbeit öffentlicher Rundfunkanstalten für die jeweiligen Jazzszenen in Deutschland, Österreich und Großbritannien: Hoffmann stellte in seinem Vortrag sechs Fernseh-Sendereihen der 1950er- und 1960er-Jahre aus dem Sendeverbund der ARD (von HR, NDR, SWF, SFB, RB und WDR) vor und analysierte die thematisch sehr unterschiedlichen journalistischen und künstlerischen Profile in der Darstellung improvisierten Musik. Die Häufigkeit ausgestrahlter Ausgaben wie „Jazz – gehört und gesehen“, „Jazz für junge Leute“ oder die „Notizen aus der Jazz-Werkstatt“ überrascht, zwischen 1955-1966 wurden über 122 Fernsehproduktionen gesendet.  Tim Wall skizzierte die Entwicklung der Jazzrezeption in Großbritannien anhand der verschiedenen Zielgruppen zugeordneten Programmschienen der zentralisierten Radio- und Fernsehanstalt BBC und bezog auch die inhaltliche Arbeit des legendäre Fernsehprogramms „Jazz 625“(1964-1966) mit ein. Wie bei Hoffmann überwiegen bei „Jazz 625“ die Sendungen mit nationalem Modern Jazz, in ihrer Anzahl direkt gefolgt von den neotraditionell spielenden Ensembles. Andreas Felber unterstrich schließlich die noch immer erfreulich stabile Entwicklung des Programmsegments Jazz in der Kulturwelle Ö1 (Hörfunk ORF) und verwies in diesem Zusammenhang auf die hohe Akzeptanz der Arbeit der Ö1-Jazzredaktion in der österreichischen Szene, die sich bisher bei auch hierzulande gelegentlich auftretenden Impulsen, den Umfang dieser Form von zeitgenössischer Kulturarbeit und Gegenwartsreflexion weiter einzudämmen, als Schutzwall mobilisieren ließ. Den entscheidenden Beitrag zur Resilienz dieses Programms muss man auch hier in der historischen Reihe handelnder Protagonisten u.a. von Moderator Walter Richard Langer oder dem früheren Ö1-Jazzredakteur Herbert Uhlir suchen .

Einen Seitenblick in eine andere Medienwelt lieferte zum Abschluss der Tagung die Podcasterin Tara Minton aus London, die zusammen mit ihrem Co-Host Rob Cope in radikaler Selbstausbeutung im Do-it-yourself-Verfahren einen Podcast hostet und betreibt. „The Jazz Podcast“ ist ein Gesprächspodcast, der, vertrauend darauf, dass es den beiden Hosts als Musiker:innen gelingen wird, Nähe zu ihren Gästen und einen spannenden Gesprächsverlauf aufzubauen, ohne große theoretische und ästhetische Umschweife (und gelegentlich  auch ohne Musik) technisch weitgehend unbearbeitete Gespräche mit Musikern präsentiert. Ein Gegenpol zu dem journalistischen Professionalismus all der anderen Darbietungen, die bei dieser Tagung Thema waren: schnell, direkt, enthusiastisch. Und damit nähert sich „The Jazz Podcast“ ungewollt  dem Rekurs europäischer Jazzszenen der frühen Nachkriegsjahre, interessiert am Tun und unbekümmert um den Stand der Diskurse.

Die Zukunft des Journalismus?  

Stefan Hentz

50. Tagung Radio Jazz Research 17. – 19. Juli 2025


17.- 19. Juli 2025
Landgasthof Bauböck / Familie Voglmayr
G.-Schachinger-Weg 2
A-4770 Andorf
0043/7766/2279


50. Tagung Radio Jazz Research
In Zusammenarbeit mit dem INNtöne Festival 2025

Ein echtes Jubiläum: Radio Jazz Research – die 50. Tagung. Wer seinerzeit bei der ersten Zusammenkunft unter der Überschrift «Radio Jazz Research» eine solche Perspektive in den Raum gestellt hätte, wäre belächelt worden. Über die Jahre ist die Initiative zu einer Institution geworden: einem offenen, international besetzten Treff von Jazz-Aktivisten und -Aktivistinnen, einem Pool für die Beschäftigung mit Jazz-Themen verschiedenster Art. Die 50. Tagung gibt Anlass zum Feiern, zu einem Blick zurück – aber vor allem (wie immer) zur perspektivreichen Fortsetzung. Neue und vertraute Gäste tragen zur thematischen Vielfalt bei. Die Anbindung an das einzigartige INNtöne Festival (Herzlichen Dank an Paul Zauner!), das in diesem Jahr zum 40. Mal stattfindet, ist eine geradezu ideale Kombination. Auf eine weitere gelungene Tagung!

TAGUNGSPROGRAMM

I) 18. Juli 2025
Tagung im Landgasthof Fest Raum

1) 9.15 Uhr:
„Wir wollten eigentlich nur den Moderatoren-Nachwuchs fördern“
Bernd Hoffmann in Gespräch mit Arne Schumacher zu 50 RJR-Tagungen

2) 10.45 Uhr:
Gewohnheiten und Improvisation. Ein ästhetisches Verhältnis
Vortrag von Alessandro Bertinetto (Turin)

3) 11.45 Uhr:
«Is It a Man`s World?» Herausforderungen für Instrumentalistinnen im Jazz
Vortrag von Christa Bruckner-Haring (Graz)

4) 14.30 Uhr:
Das RJR-Porträt05
Der Pianist und Dozent Hans Koller (London)
Oliver Weindling -Moderation-

5) 15.30 Uhr:
Das RJR-Porträt06
Der künstlerische Leiter Jazzclub Porgy & Bess (Wien), Christoph Huber
Andreas Felber -Moderation-

6) 16.30 Uhr:
Radio Jazz Research – Perspektive Zukunft
Diskussion mit Ulf Drechsel, Arne Schumacher, Constantin Sieg, Maren Wessels,
Christa Bruckner-Haring -Moderation-

II) 19. Juli 2025
Tagung im Landgasthof, erste Etage – Festraum
7) 9.15 Uhr:
Jazz und Politik – Wer benutzt wen? Zur Geschichte einer schwierigen Beziehung
Vortrag von Rüdiger Ritter (Bremerhaven)

8) 10.15 Uhr:
Zur Visualisierung des Jazz
Der Dokumentarfilmer Thomas Mau (Wuppertal) im Gespräch mit Bernd Hoffmann

9) 11.45 Uhr:
The Shade of Jazz to Come: Jazzvermittlung an Kinder und Jugendliche
Vortrag von André Doehring (Graz)


13.15 ENDE der Tagung

Diese Tagung wird durch Paul Zauner und das INNtöne-Festival maßgeblich gefördert!


Inntöne 18.-20. Juli 2025
40. Festival „Jazz am Bauernhof“
Zum 40. Mal findet von 18. Juli bis 20. Juli das Internationale Inntöne-Jazzfestival statt. Vor 40 Jahren begann alles: Erstmals wurde das Festival unter dem Namen Jazzfestival Sigharting in der Gemeinde Sigharting veranstaltet, dann jahrelang in der Rothuberhalle als Raaber Jazzfest. Organisator Paul Zauner und sein gesamtes Team laden auch in diesem Jahr wieder zum dreitägigen Konzert-Ereignis auf das Gelände des über 250 Jahre alten Buchmannhofs in Diersbach (Bezirk Schärding), wo das Inntöne Festival seit 2002 stattfindet. Auf der Konzertwiese, in Stadl und Stall treten die herausragendsten Musiker aus aller Welt auf und schicken ihre Klänge in die Tiefen des umliegenden Sauwalds. Eine ausgewählte Bio-Kulinarik, zubereitet von Spitzen-Koch Simon Humer und viele Angebote für Kinder machen das Inntöne-Festival zu einem besonderen Sommer-Jazzfest.
Eröffnet wird das 40. Inntöne-Festival orchestral: Inspiriert vom musikalischen Erbe Anton Bruckners zelebrieren Christian Wirth und sein Chameleon Orchestra einen fulminanten weltmusikalischen Klang, bei dem sich in Österreich beheimatete Ausnahmemusiker und Mosambiks Superstar Sänger Stewart Sukuma begegnen. Und es wird nicht der einzige Ausflug ins Weltmusik-Genre bei den Inntönen sein: Außergewöhnliche Strahlkraft bringt Thierry Robin, genannt „Titi“, französischer Folk- und Weltmusikkünstler mit. Der Meister der Gitarre verbindet die mediterrane Welt mit orientalischen Kulturen. Er spielt neben Gitarre auch Buzuq, Mandoline und Oud.
Die Inntöne stehen seit jeher für spannende Entdeckungen: Der charismatische Saxofonist und Komponist James Brandon Lewis (Jahrgang 1983) ist der Musiker der Stunde auf dem weiten Feld des zeitgenössischen Jazz. Mit den Messthetics bringt er am Freitagabend Free und Modern Jazz auf den Punkt. Mit seiner tiefen, vom Gospel geprägten Spiritualität und der Unbekümmertheit des Free-Jazz gelingt ihm auf wundersame Weise die „Verbindung von Tradition mit einer harten Funk-meets-Hip-Hop-Untermalung“, hieß es im Rolling Stone Magazine. Spannend wird es auch am Sonntag mit Sänger Tyreek Mc Dole: Ursprünglich aus Florida, jetzt in New York beheimatet, 24 Jahre jung und Gewinner des renommierten Sara Vaughn Wettbewerbs. McDole, der Wurzeln in Haiti hat, überzeugt durch seine außergewöhnliche Stimme und Musikalität.
In nur wenigen Jahren erlangte sie internationale Anerkennung als erstklassige Pianistin und Sängerin: Die junge Italienerin Francesca Tandoi wird am Sonntagnachmittag die Inntöne-Bühne bespielen. Die britische Jazz- und Soulsängerin Heidi Vogel erinnert in der musikalischen Tiefe an Billie Holiday. Mit unvergesslichen Auftritten von Coco Rosie bis Erykah Badu hat sich die Sängerin mit Wiener Wurzeln in der Live-Musikszene eine bemerkenswerte Nische geschaffen.
Mit Scott Robinson kommt ein Multi-Instrumentalist aus Amerika nach Diersbach. Er gilt als eines der letzten Universalgenies des Jazz. Ebenso große Erwartungen schürt auch das neue Album von Piano-Gigant Yaron Herman, der am Sonntag mit seiner Band sein „Radio Paradise“ vorstellt. Das kongeniale New Yorker Gespann „B3 plus“ mit John Clarke , Dave Taylor und Franz Hackl ist ein längst umjubeltes Blechtrio: ein Kosmos aus Klängen, Stilen und Techniken.
Ein ganz neues Universum eröffnet Anthony Joseph aus UK, der Black Soul und Spoken Word auf die Inntöne-Bühne bringt. Der trinidadisch-britische Schriftsteller, Lyriker und Musiker sorgt mit seinen Auftritten für Furore. Auf seinem Album The Rich Are Only Defeated When Running for Their Lives (2021) legte er „ein kleines Hipster-Who’s Who der Londoner Jazz-,Funk- und Soulszene vor“;Titel zu deutsch: „Die Reichen sind nur besiegt, wenn sie um ihr Leben rennen.“ Release 2025: Rowing up River to Get Our Names Back. Als spezieller Gast ist der Ausnahmekünstler David Okumu dabei. Lassen wir uns überraschen!
Extreme Talente sind bei den Inntönen stets herzlich willkommen: Hans Koller betritt mit seinem 12-Jährigen Sohn Louis die Bühne. Der gebürtige Landshuter lebt seit 1981 in London leitet das renommierte Trinity College of Music. Spezieller Gast im Hans Koller Quintet ist der Amerikaner John O’Gallagher.
Erdige Roots Musik im Duo erwartet uns von Dean Bowman und Roland Guggenbichler. Die Powerhouse-Band von Blair Clarke, Danny Lerman und Uli Geissendoerfer wird mit ihrem Programm eine Premiere feiern. Da wird keiner mehr auf seinen Campingstühlen sitzen bleiben.
Einen Festival- Höhepunkt werden sicher Face of God mit ihrer grandiosen sardinischen, traditionellen Vokalmusik bilden. Als Kontrast zu den erdigen Stimmen ist der virtuose holländische Cellist Ernst Reijseger zu nennen. Er komponierte einst ein Stück für Werner Herzogs Film „My Son, my son what have you done“- und dieses hieß „Face of God“.
Die Inntöne stehen immer schon für Innovation und verjüngen sich weiter. Der Stadl ist in diesem Jubiläumsjahr verstärkt frei für die junge Szene, diese wird hauptsächlich von Frauen geleitet. Am Freitag werden drei junge Bands präsentiert, welche alle von großartigen Musikerinnen geleitet werden. Mena Plankensteiner ist Organisationsleiterin, Sängerin und Flötistin der Jugend-Band „Jumping Jungle“. Am Keyboard von Jumping Jungle spielt der 12-Jährige Xaver Plankensteiner, eines der großen Talente im Jazz. Die Schwedisch Stämmige Londonerin Rebecka Edlund, leitet die Vortex London Youngsters und wird beim INNtöne Festival in der Scheune und St. Pigs Pub fünf Sets spielen. Für eine neue, junge Musikergeneration in Österreich steht die Welser Bassistin Kathi Angerer. Mit der Sängerin Bamlak Werner bildet sie UN:KNOWN TALES, ein famoses, spritziges Quartett. Und im Quintet seiner Vaters Hans Koller spielt der 12 Jährige Ventilposaunist Louis Koller. Er wird in London bereits sehr beachtet.
Aus New Orleans eingeflogen kommt der Blues-Grande Johny Sansone und veredelt mit Swamp Blues die italienische Combo rund um Vicenzo Barratin.
Im Pigs Pub dürfen die Inntöne-Gäste zwei Nächte lang mit Ausnahme-Trompeter Mario Rom und Clemens Salesny im Quintett schwelgen. Mit Piano-Legende Kirk Lightsey als speziellem Gast, werden sie Musik von Eric Dolphy präsentieren. Ein weiterer Weltpianist ist Carlton Holmes, er kommt mit seinem Trio am Freitag ins St. Pigs Pub. Der angesagte Tubist, Posaunist HG Guternigg kommt mit White Faces am Sonntag um die Mittagsstunden zum INNtöne Festival.
Für Kinder gibt es während des Festival-Samstag und Sonntag ein umfangreiches Programm mit Puppentheater, Basteln, Malen und Gestalten. Shuttle-Service von den naheliegenden Städten Schärding und Passau . Zahlreiche kostenlose Campingmöglichkeiten für Zelt und Wohnwagen gibt es rund um den Hof. Wie bei der Musik wird auch beim Essen auf höchste Qualität gesetzt: Ob Schweinsbraten oder vegane Köstlichkeiten, Grillhähnchen, Bio-Bier, köstliches Gebäck: jeder Festivalbesucher wird beim vielfältigen Speisenangebot fündig werden. Gekocht wird von Simon Humer und seinem Team (Biohof Thomabauer), das sich schon im vergangenen Jahr bewährt hat. Das Inntöne-Festival legt bei den Bezugsquellen besonderen Wert auf Regionalität und nachhaltige oder Bio-Landwirtschaft, zum Beispiel Fisch vom eigenen Buchmannhof.
Ein besonderes Yoga-Angebot und eine Kunstausstellung runden das Programm ab.
Nähere Informationen, Bilder zum Download und Programmübersicht unter www.inntoene.com
Paul Zauner



Keine Reduzierung des Jazz-Angebots in der ARD!

Radio Jazz Research unterstützt den Aufruf der Deutschen Jazzunion:

Pressemitteilung
Keine Reduzierung des Jazz-Angebots in der ARD!
Deutsche Jazzunion fordert ARD-Intendanzen zur Transparenz auf Berlin, 02.11.2023 | Die Deutsche Jazzunion fordert die Intendanzen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu mehr Transparenz auf. Die geplanten Umstrukturierungen im Kulturangebot der ARD-Radiosender erfordern die Einbeziehung der Fachexpertise von Berufsverbänden und Szeneakteur*innen. Die Deutsche Jazzunion hatte im September einen offenen Brief an die Verantwortlichen der ARD gerichtet, der bereits von über 2.300 Institutionen und Personen mitgezeichnet wurde. In einer Stellungnahme des Arbeitskreises Medien der Deutschen Jazzunion heißt es: >> Die Rundfunkanstalten der ARD planen für ihre Radioangebote derzeit die Zusammenlegung von Sendestrecken ihrer Kulturwellen. Die offizielle Informationslage ist derweil dünn – die Vorbereitungen und Verhandlungen finden weitestgehend hinter verschlossenen Türen statt. Nach bisherigen Verlautbarungen aus dem Kreis von ARD-Programm-Verantwortlichen betreffen die geplanten Änderungen insbesondere die Abendstrecke zwischen 20.00 und 24.00 Uhr. Anstelle der bisherigen Vielfalt mit eigenen regionalen Kulturprogrammen soll es offenbar im Hörfunk der ARD ein bis zwei zentral gestaltete Programme geben, die am Abend bundesweit ausgestrahlt werden. Damit sollen zahlreiche Sendungen, gerade auch jene mit regional ausgerichteten und spezifischen Inhalten, eingestellt werden. An ihre Stelle sollen vereinheitlichte Sendungen zu verschiedenen Kulturbereichen treten. Der damit einhergehende Verlust an kulturjournalistischer Vielfalt sowie an regionalen und lokalen Programminhalten ist dramatisch und betrifft alle Kultursparten – ganz besonders aber Jazz, Klassik und zeitgenössische E-Musik. Das wirft Fragen auf zum aktuellen Selbstverständnis der ARD sowie zum Kultur- und Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Letzterer wurde als föderales System mit dem Ziel von Vielfalt und Vielstimmigkeit als Grundlage einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung geschaffen. Eine Verlagerung in das digitale Angebot birgt bei ausreichender Berücksichtigung des Jazz zwar Potenzial, kann aber kein Ersatz für die Erfüllung des Auftrags im linearen Programm sein. Exemplarisch sind die absehbaren Folgen für den Gesamtbereich Jazz gravierend. Die geplante Zentralisierung wird die Sicht- und Hörbarkeit des Jazz in all seiner Vielfalt schmälern und zu weniger Produktionen und exklusiven Programminhalten in den Kulturradios der ARD führen. Und neben der Zahl der Sendestrecken für Konzertmitschnitte droht sich auch die Zahl der Studioproduktionen zur Förderung und Entwicklung des Jazzgeschehens in Deutschland in der Folge deutlich zu verringern. Dem Publikum wird damit die Vorabinformation über lokale Konzerte und Festivals nahezu vollständig genommen, Veranstalter*innen müssen damit rechnen, Konzertbesucher*innen zu verlieren. Das heißt: weniger Auftrittsmöglichkeiten und weniger Einnahmen für die Musiker*innen und somit weniger Präsenz in der Öffentlichkeit – dem Jazz als für die gesellschaftliche Selbstverständigung relevanter, künstlerischer Musikgattung droht in Deutschland das Aus. Davon betroffen werden auch die vier Bigbands der ARD sein, deren Livekonzerte und Mitschnitte in der Regel auf den ARD-Kulturwellen ab 20 Uhr ausgestrahlt werden – ein enormer Verlust für die internationale Strahlkraft des Jazz aus Deutschland. Dabei ist dies die Musikform, die direkt gesellschaftliche Entwicklungen kommentieren und unterstützen kann, quasi aus dem Moment heraus. Jazz steht auch und gerade für Integration, die Sicht- und Hörbarkeit von Minoritäten, Diversität, für grenzüberschreitenden kulturellen Austausch, kollektives Miteinander, Selbstermächtigung und individuelle Freiheit des Ausdrucks. Das hat in unserer Zeit eine große gesellschaftliche Relevanz. Angesichts dessen ist es umso unverständlicher, dass die ARD Umfang und Vielfalt des Jazzangebots drastisch reduzieren will. Die Pläne der ARD zur Zusammenlegung von Sendestrecken der Kulturwellen sind somit weit mehr als einfach nur eine weitere Programmreform. Sie sind sogar umso fragwürdiger, als sie keinen spürbaren „Spareffekt“ bringen werden. Hier handelt es sich offenkundig um reinen Aktionismus. Deshalb fordern wir: eine öffentliche, transparente Darlegung der Pläne durch die ARD; eine offene Diskussion unter Einbeziehung von Vertretungen aller betroffenen Kulturbereiche; die Befassung des Ausschusses für Kultur und Medien des Dt. Bundestags mit der Angelegenheit; die Befassung der Kultur-AG der Kulturminister*innen-Konferenz. Zudem wiederholen wir die zentralen Forderungen aus dem offenen Brief der Deutschen Jazzunion: Keine Zusammenlegung von Sendestrecken; kein Abbau, sondern Erhalt und Ausbau des linearen Jazzangebots in den öffentlich-rechtlichen Kulturwellen – vor allem am Tag; keine Reduzierung, sondern Erhalt und Ausbau  des Sendevolumens, von Konzert- und Festivalmitschnitten, von Autor*innen-Sendungen sowie regionaler Berichterstattung; ein klares Bekenntnis der ARD zur Bedeutung und Vielfalt des Jazz und ein entsprechend verbessertes, auch regional ausgerichtetes Angebot! << Im Arbeitskreis Medien der Deutschen Jazzunion treten Medienvertreter*innen aus Rundfunk, Print und Online mit Vertreter*innen des Berufsverbands der Jazzmusiker*innen zusammen, um an übergreifenden Fragestellungen zu arbeiten. Der offene Brief «Kein öffentlich-rechtlicher Rundfunk ohne Jazz!» kann weiterhin unter www.deutsche-jazzunion.de/kein-rundfunk-ohne-jazz mitgezeichnet werden. Diese Pressemitteilung auf der Webseite der Deutschen Jazzunion

Tagungsbericht 44. RJR Tagung in Münster

44. RADIO JAZZ RESEARCH-Tagung 

„Wildcard“

Ein Bericht von Stefan Hentz

Auch bei der 44. Arbeitstagung der Arbeitsgruppe Radio Jazz Research, die zu Jahresbeginn in Münster stattfand, zeigte sich wieder einmal, dass es im Bereich Jazz häufig gerade die offenen Situationen sind, in denen sich – Zufall oder nicht – erstaunliche Tiefenbohrungen beobachten lassen. So verhielt es sich zum Beispiel bei dieser nicht durch ein gemeinsames Oberthema auf Linie gebrachten Tagung, das schon die Reibung zwischen den ersten drei Referaten die Tagung auf Betriebstemperatur brachte. Alle drei Vorträge fokussierten Grundsätzliches und arbeiteten daran, den Diskurs aus dem fluffigen Reich der Mythen in die Realwelt des Konkreten zurück zu verpflanzen, dorthin, wo klare Begriffe und Definitionen zählen.

Mit dem Begriff der Innovation im Jazz hatte sich der Siegburger Kommunikationswissenschaftler Michael Krzeminski einem Thema zugewandt, das als Qualitätsmaßstab im Jazz – also unter den Musikern und Akteuren – als expliziter Begriff eher nicht vorkommt, im alltäglichen Gespräch von Jazz-Rezipienten, von Fans und Experten, untergründig jedoch höchst präsent ist. Zumindest im Sinne der Ablehnung von schierer Epigonalität oder eines andauernden ästhetischen Stillstands ist die Forderung nach Innovation eine stete Begleitmusik der Beurteilung von Jazz. Mit dem Begriffsbesteck des Soziologen entwickelte Krzeminski die verschiedenen Komponenten des Begriffs „Innovation“ – als komplexen Vorgang und Gegenbegriff zu der mit Wirkmacht weniger aufgeladenen „Novität“. Innovationen seien „als Ergebnis einer gesellschaftlichen Abstimmung über die Akzeptanz technischer Neuerungen/Verbesserungen“ aufzufassen, „das Neue und Bessere“ gelte nur dann als Innovation, „wenn es einen sozial akzeptierten Sinn erfüllt“. Mit Nachdruck entwickelte Krzeminski dabei die Komplexität der soziologischen Perspektive auf den Begriff der Innovation, nach der technische Neuerung sich nur dann in ihrem gesellschaftlichen Umfeld durchsetzen kann, wenn sie bei einem Besonders interessierten Fachpublikum mit der wirtschaftlichen und der technischen Kapazität, die neue Technik zu verbreiten, auf Resonanz stößt und sich in einem Fünfsprung von der Ingeniosität der Neuerung über ihre Publizität in der interessierten Öffentlichkeit und ihre später Inszenierung für ein breiteres Publikum  über den Status einer vergänglichen  Episode hinaus schließlich zum Signum einer ganzen Epoche entwickelt.

Provoziert von Vorschlägen aus der deutschen Jazzszene, Jazzhochschulen in «Black American Music Institutes» umzutaufen, und damit eine Art Eigentumstitel auf die musikalische Kunstform Jazz zu etablieren, der in der Konsequenz eine Hierarchie der Zugriffsberechtigung auf das Erbe des Jazz beinhalten würde, ging der Kölner Publizist Michael Rüsenberg unter der plakativen Überschrift „Wem gehört der Jazz“ den derzeit in den USA (und – mangelhaft übersetzt – längst auch in Europa und Deutschland) verbreiteten Bestrebungen nach, den Jazz als urwüchsig afroamerikanische Kunstform zu definieren und ihn moralisch im Sinne seines Ursprungsmythos für den Dienst an der Community der afroamerikanisch dominierten Gründer der Kunstform zwangszuverpflichten. Zunächst rekonstruierte Rüsenberg ein Thesengebäude des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers und Jazz-Forschers Gerald Early, der seine Abwehr einer „europäischen Jazz-Sensibilität“ an der nicht swingenden Improvisationsmusik von Keith Jarretts Köln Concert festmacht. Nach Early sei der Erfolg dieser Musik nur dadurch plausibel zu begründen, dass dem Publikum erst in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre deutlich wurde, dass Jarrett nicht afroamerikanischer Abstammung ist. Jarrett habe, das konzidiert Early, „sich nicht absichtlich“ als Schwarzer ausgegeben, aber „als sein Publikum in den späten 1970er Jahren sein Weißsein erkannte, hatte er in gewisser Weise das Problem der Authentizität in Verbindung mit dem Begriff des Privilegs neu aufgeschrieben.“ Und konnte damit erst so erfolgreich werden, wie er wurde. So schlicht konstruiert Early seine Gleichsetzungen zwischen Hautfarbe, Herkunft, sozialem Status, und einem Blutsrecht darauf, erfolgreich sein zu können. Ähnliche Argumentationsfiguren weist Rüsenberg in der Verschriftlichung eines Vortrags nach, den der Flötist und „Antirassist in der deutschen Jazzausbildung“, Vincent Bababoutilabo, beim 17. Deutschen Jazzforum 2021 in Darmstadt gehalten hat. Bababoutilabo, der von sich sagt, dass ihm das Hören von John Coltranes „Alabama“ den entscheidenden Impuls gegeben habe, sich politisch als Aktivist im Sinne antirassistischer Bildungs- und Organisationsarbeit zu engagieren. Doch seit er begonnen hat, in Leipzig Jazzflöte und Musikpädagogik zu studieren, sei ihm dieser Anschub in Richtung seines politischen Aktivismus nicht wieder begegnet, zumindest nicht als Teil des Studienprogrammes. Im Gegenteil, In einer etwas unvermittelten Abgrenzung zu der Musik von Beethoven, auf die sich Bababoutilabo zufolge „Menschen weltweit beziehen können, ohne dass die Musik und ihre Geschichte dabei weniger aufklärerisch werden“, ist die „Black Music“ offenbar weniger immun. „Wenn sich die Institute der sogenannten „westlichen Hochkultur“ Schwarze Musik aneignen, wird sie irgendwie weniger subversiv und weniger Schwarz.“ Bababoutilabos Schlüssel für diesen Widerspruch? Rassismus, ein Wort, das Bababoutilabo ohne jedwede Bemühung um kontextualisierende Differenzierung als ein Synonym für die Vorstellung eines privilegierten (=weißen) Bevölkerungsteils, anderen Bevölkerungsgruppen überlegen zu sein, versteht. Unter Ausblendung jedweder Diversität menschlichere Zugehörigkeiten und Seinsformen bleibt Bababoutilabo hier in recht plumpen Dichotomien verhaftet, schwarz – weiß, privilegiert – nicht privilegiert, deren konsequente Anwendung neue Kontaktsperren- und Zugriffshierarchien zu den Quellen und den Gründungsmythen des Jazz erzeugen würden. Beiträge europäischer oder gar weißer Akteure – von Akteurinnen ist in diesem Zusammenhang eher nicht die Rede – stehen in dieser Sicht eher nicht zur Debatte. Entstanden als eine afroamerikanische Musikform und damit per ethnischer Zugehörigkeit widerständig, besteht die Notwendigkeit, ihn gegen Vermischungen und Verstöße gegen Reinheitsgebote und andere Einflüsse aus der weißen Welt der Privilegien, zu imprägnieren.

Der Idee eines Primordialismus, der davon ausgeht, dass Gemeinschaften und Identitäten auf einer »wirklichen«, substantiellen Gemeinsamkeiten gründen, die wiederum bestimmte kulturelle Verfahren hervorbringen, korrespondiert ein weiterer Begriffskomplex, der derzeit in den Diskursen um den Jazz Konjunktur hat: der Begriff der „kulturellen Aneignung“, zumeist im Umfeld von kulturellen Begegnungen und Vermischungsprozessen in Form der Klage über die kulturelle Enteignung einer – aus welchen Gründen auch immer – unterlegenen Kultur durch die nun siegreiche Dominanzkultur. Auf derartige Debatten über Identitäts- und Besitzverhältnisse im Bereich des Jazz bezog sich Gerhard Putschögl (Frankfurt/Main) in seinem Referat „Reinterpretation/Covering unter der Perspektive der ‚kulturellen Aneignung’“. In einem ersten Schritt stellte Putschögl zwei widerstreitende Positionen zum Konzept der kulturellen Aneignung vor. Während der Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst in seinem Buch Kulturelle Aneignung (2021) die Standarddefinition der kulturellen Aneignung als „eigenmächtige Übernahme von Elementen einer unterdrückten Kultur durch die Angehörigen einer Dominanzkultur“ ausbreitet und die Frage nach der Gleichberechtigung der beteiligten Kulturen  in den Fokus rückt, hält die Philosophin Ursula Renz schon die Idee eines „kulturellen Eigentums“ für problematisch: „Denn Kultur ist immer auch Kulturtransfer.“ Dabei stellt sie nicht in Frage, dass es in den Debatten um „kulturelle Aneignung“ vor allem um die Wahrnehmung von Status- und Machtgefällen zwischen einer dominanten und einer Minderheiten-Kultur. „Aber das Aneignen selber, das ist Kultur. Das finden wir in der ganzen Kulturgeschichte immer wieder: in der Literatur, in der Musik, in der Philosophie.“

Anschließend diskutierte Putschögl die widerstreitenden Interessen bei der kulturellen An-/ Enteignung von musikalischen Formen im Bereich der Jazz- und Popmusikgeschichte anhand der zentralen Kriterien Respekt vs. Profitinteresse. Musiker wie die Trompeter Don Ellis oder Don Cherry oder der Gitarrist John McLaughlin, die sich intensiv mit den Musikkulturen beschäftigt haben, aus denen sie Elemente für ihre eigene Musik übernommen haben, seien demnach ebenso legitim wie in einer viel früheren Periode des Jazz die Übernahme von Elementen der Formensprache des Jazz ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob diese ihr Publikum vielleicht stören könnten. Prominente Gegenbeispiele wären die Original Dixieland Jass Band, eine rein weiße Band, die 1917 eher aus Zufall als aus musikalischer Relevanz die „erste“ Schallplatte mit Jazz (in dem Sinne, dass Jass im Namen der Band auftauchte und der Begriff Jass oder wenig später Jazz fortan als Gattungsbezeichnung weiterlebte) einspielten und mit Selbstbezeichnungen wie Columbus of Jazz (für den Bandleader und Kornettisten Nick LaRoca) schon frühzeitig die Klaviatur des Marketing bespielte.

Wie schwer es manchmal sein kann, zu unterscheiden zwischen Selbst-Identifikation mit einem bestimmten Musikstil und seiner Ausschlachtung für kommerzielle Zwecke, erläuterte Putschögl schließlich am Beispiel von Sting, dessen musikalischer Werdegang stark vom Einfluss des Reggae geprägt war, was ihm in den letzten Jahren einige Kritik unter dem Stichwort kulturelle Aneignung bescherte. Aufgewachsen in einem Viertel, in dem viele Bewohner aus Jamaica stammen, war er schon früh vertraut mit dem Reggae und betonte immer wieder, wie verbunden er dieser Musik und ihren Schöpfern ist. Deutlich wird an dieser Stelle, wie wacklig Zuordnungen zu bestimmten Gruppenidentitäten sind: Sprache, Religion, Race z.B., so schloss Putschögl, seien äußerst unzuverlässige Indikatoren.

Ein zweiter Themencluster thematisierte die Instrumentalisierung des Jazz im Kulturkampf der Systeme zur Zeit des Kalten Krieges. Konstantin Jahn (Dresden) verfolgte in „Henry Pleasants oder die Jazz-Hipster der CIA“ die Versuche des Leiters des CIA-Büros in Bonn, mittels des Freiheitsversprechens, das man dem Jazz (und auch der abstrakten Malerei) zuschrieb, kulturelle Geländegewinne gegenüber der zweifelhaften Attraktivität des sogenannten „realen Sozialismus“ zu erzielen, und stieß dabei auf eine sehr eigentümliche Balance zwischen der erstaunlichen kulturellen Modernität des Kreises um Henry Pleasants (und auch auf Seiten seiner deutschen Gegenüber in der Organisation um den umstandslos entnazifizierten Nazigeneral Reinhard Gehlen) und der Bereitwilligkeit ihrer Dienstfertigkeit im Umfeld ihrer geheimen Aktivitäten im Nebel des Kalten Krieges.

Als symmetrisches Gegenstück hierzu fungierte Rüdiger Ritters (Mainz) Vortrag „Ein zweischneidiges Schwert“, der seinerseits die Bemühungen, den Jazz seitens der Sowjetpropaganda in den Ländern des Warschauer Pakts nutzbar zu machen, darstellte. Ritter stellte dabei die verschiedenen Phasen dar von der offenen Verunglimpfung des Jazz als Ausdruck einer dekadenten Lebensweise über den Versuch seiner Domestizierung durch die Übernahme einzelner Elemente des Jazz über die Förderung des Volkslieds als Gegenmodell zur Abstraktion des modernen Jazz bis hin zu Versuchen der erstickenden Umarmung inklusive der persönlichen Einladung an den Radio-DJ Willis Conover, der im Gegenzug half, die Jazzszenen in den Ländern des Ostblocks zu vernetzen und ihren musikalischen Protagonisten auch im Westen bekannt zu machen.

Nach einer kurzen Aktualisierung, die Iwan Wopereis’ (Rotterdam) zum Fortgang seiner empirischen Erhebung „Music experts‘ knowledge on improvisational expertise: The RJR case“ auch über den Arbeitskreis Radio Jazz Research selbst angefertigt hatte, beschloss Christian Rentschs (Zürich) düsterer Bericht über jüngste Etat-, Sendeplatz- und Seriositäts-Kürzungen beim öffentlichen Schweizer Rundfunk unter dem Titel „Die Misere der Jazzkritik“, die einer ernstzunehmenden Jazzkritik kaum noch einen Hub Luft zum Atmen lassen, die Tagung.

Inntöne Festival 21.-23. Juli 2023 in Diersbach

INNtöne Festival

Musik aus dem hohen Norden und tiefen Süden:
Die Inntöne gehen wieder auf Weltreise

Ein Festivalbericht von RJR-Mitglied Oliver Weindling

Inntöne proves  Radio Jazz Research is not only about radio and jazz is totally wrong. And, with its Austrian ‘Ehrenmitglied’ Paul Zauner, it has a live music promoter here in his element. Carefully curating, being the genial host, on his own family farm.

Through his diligent research, we have a great idea of the cross section of quality jazz and improvised music which is around. Hardly as intimate as a club such as the Vortex, there is nevertheless a contact with musicians and indeed Zauner, who is often to be seen in the audience with a broad grin as he appreciates the music.

More than enough space for all, and an excellent choice of food and drink, the festival this year experimented and grew, using better its spaces such as the barn, where the festival used to be focussed before Covid.

While the music more than nods to its American roots, the selection of musicians had a strong European feel, as well as a great diversity.

There were a couple of ‘tributes’. First, more directly, a reworking of Mingus’s classic “The Black Saint and The Sinner Lady”, by saxophonist Clemens Salezny and Gregor Aufmesser, which allowed us to realise how a live performance of a classic can really add to our appreciation; and the other, more indirectly, David Helbock’s Austrian Syndicate, dedicated in name at least to Joe Zawinul, the Austrian keyboard trailblazer. Helbock is very much at the forefront of the band, relishing the opportunity to experiment, almost hyperactively, on his set of keyboards. Tempered by pianist Peter Madsen (equally a father figure of the Austrian scene especially in the west of Austria from where Helbock comes) and a trio of bass, percussion and drums. They balance the high energy and electricity which Helbock delivers.

The Austrian Syndicate was one of the daily energetic openers which would wake us up for the music ahead.

Similarly, we heard baritone saxophonist Helga Plankensteiner on Saturday with a tribute to the music – and outgoing personality – of Jelly Roll Morton. We were reminded of his other activities, such as gambler and pimp, as well as giving us a strong argument for his claim that he ‘invented’ jazz. A band which focussed on the lower registers, since in addition to Plankensteiner was bass clarinettist Achille Succi, sousaphone and drums.

Sunday’s opener was exciting as it was a chance to hear the first gig in a while of Tom Challenger’s Brass Mask. By slightly changing the lineup, apparently by force of circumstance as much as volition, he had an extra trumpet in Byron Wallen (who also doubled beautifully on conch shell) and used Caius Williams on electric bass (instead of tuba). It gave a good basis for new compositions, which were added to some of the band’s New Orleansy stalwarts.

Brass Mask was one of a particular feature on bands from London, of quite a variety. Xhosa Cole brought his quartet, and mesmerised with his Monk tunes in particular (where he brought on Byron Wallen and George Crowley as guests) but was highlighted by a solo version of Round Midnight.

There was also Freight Train, with Irish folk diva Cathy Jordan , egged on by Liam Noble and Paul Clarvis. Jordan is quite a blues shouter, and, behind her, Noble and Clarvis delivered their (dis)respectful takes on the music.

Zara MacFarlane took, I think, a couple of tunes to warm up. But by the end she had the audience in raptures with her jazz fused with soul, and her bubbly personality.

The other band from London was very different. Alexander Balanescu came with his string quartet. Perhaps best known nowadays for his arrangement of the University Challenge theme on TV, here he showed why this band had been at the forefront of the diversification of the string quartet repertoire. Especially effective was his violin rhapsodizing in the style of Romanian and Balkan folk musicians, reflecting his own roots in Romania.

Perhaps the closest to an ‘American’ quartet was that of saxophonist Hermon Mehari, born and brought up in Kansas.  But the name of the group ‘Asmara’ gives away his Eritrean roots, which are subtly infused through the set.

There was a strong focus on woman performers in addition to those mentioned above. Pianist Johanna Summer played a solo set, building on her classical reinterpretations. Then there were three all-female bands. Two contrasting trios, with ECM saxophonist Mette Henriette, playing a minimalistic Nordic set with piano and cello, and the punkish, heavy groove of the high energy French band Nout (on which more in Alison Bentley’s review from Suedtirol).  The repertoire could have felt unexpected with instrumentation of flute, harp and drums, as it grew from a quieter minimalistic start.

But also the all-star Scandinavian band of mesmerising percussionist Marilyn Mazur. Shamania gives a good indication of spirituality, here from a more northerly perspective, much of the music dating from the need to find new alternatives during lockdown. Balancing energy and giving a lot of freedom for musicians such as Danish saxophonist Lotte Anker, Norwegian trumpeter Hildegun Oiseth and Josefina Cronholm.

As much as the openers each day set us up, the closers on the main stage also balanced showmanship and technique. Brazilian accordionist Renato Borghetti, who played instruments of all sizes, was matched by the virtuosity of the rest of his band, reeds Pedro Figuereido, guitarist Daniel Sa and pianist Vitor Peixoto. And, finally on Sunday, Vieux Farka Toure built up the pace and volume steadily in a performance of desert blues, so that, by the end, we were all dancing as darkness fell.

But that wasn’t all, since the event also had us enjoying the history of jazz (in the farm’s barn) using some of the few US band leaders there, with Chanda Rule’s Sweet Emma band and veteran gospel/blues singer Janice Herrington and the jam in the pub (pigsty). By the way, on these we had a festival first, in that Paul Zauner broke one of his own rules of the festival, and joined in on trombone, only the second time in the 30+ years of the festival, he had blown his own instrument. Then on Sunday night the jam was graced with legendary 86-year old Kirk Lightsey, who had rushed over from London. Sounding like someone less than half his age, he played with an imagination that really placed him in the pantheon of Detroit great pianists which included Barry Harris and Tommy Flanagan. It boosted the rest of the band (led by Dmitry Baevsky on alto and Joe Manarelli on trumpet) who had already played well enough the night before with Oliver Kent on piano.

Wahlen

Bei der Mitgliederversammlung der 45. RJR-Tagung in Gütersloh (11. Mai 2023) wurden gewählt:
In den Vorstand: Lena Jeckel, Oliver Weindling und Dr. Bernd Hoffmann,
In den Beirat: Christa Bruckner-Haring, Dr. Andreas Felber und Arne Schumacher.

45. RJR-Arbeitstagung in Gütersloh | 11. – 12. Mai 2023

Gütersloh, 11.- 12. Mai 2023

Ort: Stadthalle Gütersloh // Hotel:  Holiday Inn

45. RADIO JAZZ RESEARCH-Tagung 

„Jazz und Kommunalpolitik“

In Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Gütersloh.
Programm Lena Jeckel / Bernd Hoffmann
Moderation: Arne Schumacher


„Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt“, sagt der chinesische
Philosophen Laotse vor vielen Jahrhunderten. „Alles Globale beginnt lokal“, lautet die leicht
zugespitzte Übersetzung, die die Arbeitsgruppe Radio Jazz Research, einem internationalen
Kreis von Diskurs-Agenten aus Jazz-Wissenschaft, -Publizistik und anderen Jazz-bezogenen
Arbeitsfeldern ihrer 45. Arbeitstagung unterlegt hat. Das Globale und das Lokale: „Jazz und
Kommunalpolitik“ ist das Thema einer Tagung, die Ansatzpunkte für viele erste Schritte
fokussiert.
Nach der Begrüßung de Teilnehmer:innen durch Andreas Kimpel, Kulturdezernent der Stadt
Gütersloh und den RJR-Vorsitzenden Bernd Hoffmann, bezieht sich der erste Teil der Tagung
auf das harte Brot der kommunalen Kulturpolitik. Die Geschäftsführerin des Kultursekretariats
NRW, Antje Nöhren, referiert über Potentiale der Förder- und Netzwerkstrukturen für die
Kultur in NRW und als Vertreter der Deutschen Jazz Union spricht Jan Monazahian über
Regionale Aspekte der Jazzvermittlung und Demokratieförderung. Im Anschluss kommt es zu
einem Gesprächspodium mit Andreas Kimpel, Emilian Tantana vom Jazzclub Bad Ischl und
Arnd Weidler vom Deutschen Jazzinstitut in Darmstadt.
Sozusagen nachholend entwirft der Psychologe, Jazz-Aktivist und Medienmacher Constantin
Sieg am folgenden Vormittag ein sehr konkretes Bild von der Jazzwirklichkeit in der
oberhessischen Provinz zwischen Bad Hersfeld und Universitätsstadt Marburg, die nicht nur
als Gründungsort der Union Deutscher Jazzmusiker (heute: Deutsche Jazz-Union) vor 50
Jahren eine wichtige Rolle in der Geschichte des deutschen Jazz spielte. Paul Zauner, Musiker
und Konzert- sowie Festivalveranstalter aus der österreichisch-deutschen Donauregion
hinterleuchtet das Zusammenspiel zwischen universitärer Jazzausbildung und den Fallstricken
der befassten Kommunalpolitik, während der Radiomoderator und -Autor Thomas Mau ein
Thema mit hoher politischer Relevanz unter seine Lupe nimmt: die wechselseitige Befruchtung
zwischen Rundfunkanstalten und dem vielgestaltigen Jazzleben in den Regionen, die sich seit
der Gründung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach dem 2. Weltkrieg immer
wieder bewährt hat.

Stefan Hentz

PROGRAMM:

Donnerstag: 11. Mai 2023, Raum K 21

Begrüßung: Kimpel /Hoffmann

15.00 Uhr:
Antje Nöhren (Kultursekretariat NRW, Gütersloh):
Potenziale der Förder- und Netzwerkstrukturen für die Kultur in NRW

16.00 Uhr:
Jan Monazahian (DJU):  
Politisch gebildet dank Jazz?
Einblick in regional verankerte Modellprojekte

17.00 Uhr:
Diskussion: Jazz und Kommunalpolitik  
Mit Andreas Kimpel (Stadt Gütersloh), Emilian Tantana (Jazzclub Ischl), Stefan Hentz (Freier Journalist)

18.00 Uhr:
Mitgliederversammlung mit Wahlen

20.00 Uhr Abendessen: Alex, Sprenger Str. 11, Gütersloh: 05241 16877

Freitag:  12. Mai 2023, Raum K 21

9.30 Uhr:
Constantin Sieg (RJR):
Bilder aus der Provinz

10.30 Uhr:
Paul Zauner (Festival InnTöne):
Verlinkungen: Universitäre Jazz Ausbildung & Kommunalpolitik

11.30 Uhr:
Thomas Mau  (Freier Journalist, WDR):
„Gut zu haben, aber nicht relevant“
Das Verhältnis zwischen Rundfunkanstalten und der Festival-Szene

13.00 Uhr Mittagessen