Manfred Miller, 1943-2021

Michael Rüsenberg (mit freundlicher Genehmigung von jazzcity.de)

Manfred Miller, 1943-2021

Eine solche Spannweite wird es in der deutschen Jazzpublizistik nicht mehr geben. Dass jemand Schlüsselalben des FreeJazz produziert und später wie kein zweiter in den Blues sich vertieft, insbesondere in seine Texte.

Konkret: 1967 dirigiert er einen Ü-Wagen, Personal und Bandmaterial in eine Schulaula, um „For Adolphe Sax“ von Peter Brötzmann aufzunehmen. Mit der damals streng verbotenen Konsequenz, dass der Künstler die Bänder an sich nimmt und in Form einer Langspielplatte auf den nach dieser Musik nicht gerade gierenden Markt bringt.

Das war 1967. Da hatte er gerade ein Studium der Philosophie und Musikwissenschaft in Köln abgebrochen und verdingte sich als Hilfsredakteur der Deutschen Welle. Ein Jahr später, nun bei Radio Bremen als ordentlicher Jazz- & Pop-Redakteur, lässt er erneut Mikrofone auf Peter Brötzmann richten, an einem Maien-Nachmittag in der „Lila Eule“, für das noch legendärere Album „Machine Gun“.

Aus dem Juni 1967 kursieren Schnipsel durchs Internet, von einer sagenhaften Freitagnachmittag-Debatte im Ersten Deutschen Fernsehen (an Werner Höfers Hufeisen-Tisch), wo er den Advokat des Teufels gibt und eloquent die Ästhetik des damals neuen FreeJazz gegen die störrischen Mienen von Felix Schmidt (Der Spiegel) und Siggi Loch verteidigt. Unvergessen eine Überleitung des Moderators Siegfried Schmidt-Joos („Bevor wir Herrn Brötzmann zum Abschuss freigeben“) sowie der Moment, wo Klaus Doldinger kurz den Brötzmann gibt (und wild in den Raum quiekt). Woraufhin er von Miller auf die Plätze verwiesen wird mit der Bemerkung, dass er damit nicht ein Konzert in der neuen Stilistik bestreiten könne.

An einem Mikrofon von Radio Bremen war es auch, wo er 1968 mit einer süffisanten Bemerkung über das Paradepferd der Bundeswehr, den Starfighter, den Status einer Berühmtheit im Warhol´schen Sinne erlangte. Gerade war der 99. Starfighter abgestürzt, da gab Miller im „Pop Shop“ die Empfehlung aus: „Freunde, stellt schon mal den Sekt kalt, der 100. kommt bald!“

Die Leitung des Hauses, man ahnt es, zählte sich nicht zu diesem Freundeskreis.

Sie ließ ihn gleichwohl im Norden nicht verstummen. 1972 wirkte er an der 13teiligen TV-Reihe „Sympathy for the Devil“ mit. 1973 – „mit politisch bedingten Unterbrechungen (zwischen 1975 bis 1984) bis 1986 (wie sein Nachfolger bei Radio Bremen, Peter Schulze anmerkt) folgten 52 Einstunden-Sendungen „Roll over Beethoven – Zur Geschichte der Populären Musik“ für Radio Bremen 2, aber auch NDR und WDR. Aus der Sendereihe ging eine Sammlung hervor, die seit 1991 unter Klaus-Kuhnke-Archiv für Populäre Musik in Bremen ansässig ist.

Millers Schwerpunkt hatte sich da schon weg vom FreeJazz und mehr zur Populären Musik (in einem sehr umfassenden Sinne) verlagert, Und vor allem: zum Blues!

1976 arbeitete er im SWF-Landesstudio Mainz, zunächst als freier Mitarbeiter, von 1981 bis 1999 als regionaler Kulturredakteur.

Bis in die 80er hinein jedenfalls wirkte er auf SWF 2 an der legendären 19:30-Uhr-Strecke mit, und zwar mit „Oldtime“ (!) und „Bluestime“.

Oh ja, der Blues! Verblüffend, auf discogs zu finden, wie viele Alben er kompiliert, für wie viele er liner notes geschrieben hat. Mit dem Blues blieb er bis zuletzt über das von ihm mitbegründete und ihn schwer auszeichnende Bluesfestival in Lahnstein verbunden. Wir dürfen sagen, wir haben vor allem von ihm gelernt, dass der Blues kein Kind von Traurigkeit ist (jedenfalls nicht durchgängig) und dass er nicht ewig über 12 Takte läuft.

Unvergessen, wie er sich in die Lyrik des Blues vertiefte, sie kongenial übersetzte und uns Frischlingen den erotischen Doppelsinn so mancher braver Sprachfloskel entschlüsselte, darunter seine eigene Kategorie des (Sexual)Protzer-Blues.

Die Rentnerjahre verbrachte er wechselweise auf Elba und in Mainz. Zuletzt machte er sich noch an ein publizistisches Großprojekt, dessen erster Teil unter „Um Blues und Groove – Afroamerikanische Musik im 20. Jahrhundert“ 2017 erschien. Man hätte gerne gehört, was er zur heutigen Duckmäuser-Debatte (hier Euro-Zentrismus, dort Afro-Amerikanismus) gesagt hätte.

Es bleibt allemal schade, dass er seine große Begabung nicht über die gesamte Lebenszeit zum Ausdruck hat bringen können. Er hätte in den Olymp der deutschen Jazzpublizistik gepasst, neben Peter Niklas Wilson, Ekkehard Jost, Alfons Dauer, ja auch Michael Naura.

Manfred Miller, geboren am 11. April 1943 in Reichenberg (ehemals Nordböhmen), ist am 4. Juni 2021 in Mainz einer Krebserkrankung erlegen. Er wurde 78 Jahre alt.

5. RJR-Zoom-Konferenz, 07. Mai 2021, 15.00 Uhr

Zoom Meeting 05
Jazz vor Ort in Zeiten der Pandemie Topic: Radio Jazz Research

Eingeladen sind:
André Doehring (KUG), Andreas Felber (ORF), Lena Jeckel (Gütersloh), Arndt Weidler (Jazzinstitut Darmstadt), Guido Spannocchi (GB), Sebastian Scotney (London Jazz News).

Die Pandemie fördert die Live-Präsentation und Darstellung der lokalen Jazzszenen im Internet, da Gäste aus anderen Ländern nicht einreisen dürfen. Entstehen  in der Corona-Not also Formen der Unterstützung und Aufmerksamkeit im lokalen und regionalen Bereich? Und wie unterscheiden sich diese Formen von Festivals, die nur die einheimische Szene vorstellen.

4. RJR-Zoom-Konferenz, 09. April 2021, 15.00 Uhr

Zoom Meeting 04
Streaming und Podcast.

09.04.2021 – ab 14.50 Uhr
Im letzten Jahr wurde das Internet (sowohl als Audio über Podcasts als auch als Video mit Livestreams) immer beliebter. Anfangs von Musikern selbst, jetzt aber mehr und mehr von Festivals und Veranstaltungsorten. Wie wird sich dies auf das Verhalten von Clubs und Festivals auswirken in Bezug auf die Programmierung? Was ist mit dem Publikum und wie wird sich das auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auswirken?

Marcus Bartelt (Musiker) Urs Röllin (Festivalmacher & Musiker), Sebastian Scotney (London Jazz News), Michael Rüsenberg (Jazz City & Stadtgarten Podcast), Guido Spannocchi (Musiker), Oliver Weindling (Vortex).

Ab circa 16.00 Uhr
Neu im RJR Zoom-Meeting:
Informationen von Mitgliedern für Mitglieder.


3. RJR-Zoom-Konferenz, 12. März 2021, 15.00 Uhr

Zoom-Meeting 03
Die Pandemie verändert stark die Situation der Clubs für improvisierte Musik: Improvisationen finden vor leeren Stühlen statt, das Publikum schaut Liveübertragungen im Homeoffice. Der Club als Übekeller!

Aus ihrem Alltag berichten:
Konnie Vossebein, Waldo Riedl, Paul Zauner, Emilian Tantana, Jan Korinek

Ab circa 16.00 Uhr
Neu im RJR Zoom-Meeting:
Informationen von Mitgliedern für Mitglieder


Das 4. Zoom-Meeting von RJR findet am 9. April statt.
Das Thema: Streaming und Podcast.


2. RJR-Zoom-Konferenz, 12. Februar 2021, 15.00 Uhr

Zoom-Meeting 02
„Jazz in Europe – Jazz and Media
Topic: Radio Jazz Research
Time: Feb 12, 2021 03:00 PM Amsterdam, Berlin, Rome, Stockholm, Vienna

Die Begeisterung der Kolleginnen und Kollegen auf ein gemeinsames Treffen von RJR war beim ersten Zoom-Meeting deutlich zu spüren. Wir waren mit 28 Teilnehmern überraschend zahlreich, zumal sich über 10 Mitglieder für ihr Nichtdasein entschuldigt haben.
Deshalb wollen wir weitere Zoom-Treffen vorbereiten, die im Vorfeld unserer 41. Tagung in Diersbach (Ende Juli 2021) einige Themen aufgreifen. So sieht die vorläufige Themenliste von Jazz in Europe aus:

Thema 02: Jazz und Labelpolitik, im Printbereich, im Rundfunk
Thema 03: Die aktuelle Club-Situation
Thema 04: Jazz Online – Podcast und Streaming
Wird fortgesetzt.

Die aktuelle Situation „Jazz und Labelpolitik, im Printbereich, im Rundfunk“ in Zeiten von Corona soll am 12. Februar diskutiert werden: Wie reagieren die Labels, die improvisierte Musik veröffentlichen wollen? Worüber schreiben die Jazz-Zeitschriften, welche Konzerte
besucht die Journalistenschar, was sendet der öffentlich-rechtliche Rundfunk? Den neuen technischen Formaten werden wir in einem weiteren Zoomtreffen begegnen.
Es diskutieren: Stefi Marcus (Label Traumton), Arne Schumacher (Radio Bremen), Sebastian Scotney (London Jazz News) und Martin Laurentius (Jazzthing and more). Es moderiert Oliver Weindling (Jazzclub Vortex)

Neue Gesprächsreihe im Stadtgarten in Köln – ab 12.02.2021

Speak like a Child
Der Titel der Reihe geht zurück auf das Titelstück des legendären Herbie Hancock-Albums von 1968, und ist eine Referenz an die musikalische Grundfarbe des Stadtgartens.
Der Titel soll dem Gespräch viel headroom erlauben.
Selbstverständlich sollen Gäste & Gastgeber nicht „kindisch“ sprechen, aber doch unbefangen und offen.
Und nuanciert, wie in Hancocks Arrangement.

(Wortformat – keine Musik)

Am 25.11.2018 war die Komponistin und Jazz-Pianistin Julia Hülsmann zu Gast im Stadtgarten. Sie ist vor allem durch ihre auf Lyrik basierenden Kompositionen bekannt.
Mehr Informationen unter: https://stadtgarten.de/media/speak-like-a-child/julia-huelsmann

In der nächsten Folge spricht Michael Rüsenberg mit Nils Wogram.
Weitere Folgen aus dieser Reihe dann mit Darcy James Argue, John Hollenbeck, Rolf Kühn, Norbert Stein, Dirk Raulf, Georg Ruby.
Für die drei Letztgenannten macht SLAC ein besonderes Fenster auf:
Past & Present
Es sind Gespräche und Konzerte mit den Gründern der Initiative Kölner Jazzhaus e.V.
Wie beurteilen sie die Vergangenheit (past), wo stehen sie heute? (present)

1. RJR-Zoom-Konferenz, 8. Januar 2021; 15.00 Uhr

Zoom-Meeting 01
„Jazz in Europe – Are we still fit for purpose?”

Topic: Radio Jazz Research 08/01/21

Time: Jan 8, 2021 03:00 PM Vienna

Join Zoom Meeting

https://us02web.zoom.us/j/87224715398?pwd=LzcvT3dsTlVMRGFiWlV1YnBSSjdCZz09

Following the cancellation of our Radio Jazz Research conference planned for the international jazz festival in Münster in January 2021, the theme “Jazz in Europe” will be that of our meeting in Diersbach at the end of July coinciding with the INNTöne 2021 Festival in Upper Austria. The topics that would have been discussed there will be anticipated through a series of Zoom discussions.  Through these, we hope to give an awareness of the actual situation for jazz in Europe.

The distribution of the vaccine throughout Europe gives increasing hope, but a look at the European jazz scene gives a brutally clear perception of the cultural impact of the pandemic until now. The once-flourishing jazz scene has been given relatively little support in comparison to other social currents. “Are we, in the cultural context, still fit for purpose?” is a question posed not only by the German Jazz Union.

These and other questions will be discussed by:
Lena Jeckel, Kulturamt Stadt Gütersloh (D)
Urs Johnen, Geschäftsführer Deutsche Jazzunion (D)
Michael Rüsenberg, Journalist (D)
Oliver Weindling, Jazzclub Vortex (GB)
Paul Zauner, Musiker und Leiter der INNTöne (A)
Carine Zuber, Geschäftsführerin Jazzclub Moods (C

Kornelia Vossebein neue Leitung des Künstler:innen-Förderprogrammes „NICA artist development“

Unser RJR-Mitglied Kornelia Vossebein hat in diesem Jahr eine neue berufliche Aufgabe übernommen: Die Leitung des Künstler:innen-Förderprogrammes „NICA artist development“ des Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW, koordiniert vom Europäischen Zentrum für Jazz und aktuelle Musik Stadtgarten Köln.

Wir gratulieren Kornelia Vossebein und wünschen Ihr für Ihren neuen beruflichen Weg alles Gute!