Tagungsbericht 44. RJR Tagung in Münster

44. RADIO JAZZ RESEARCH-Tagung 

„Wildcard“

Ein Bericht von Stefan Hentz

Auch bei der 44. Arbeitstagung der Arbeitsgruppe Radio Jazz Research, die zu Jahresbeginn in Münster stattfand, zeigte sich wieder einmal, dass es im Bereich Jazz häufig gerade die offenen Situationen sind, in denen sich – Zufall oder nicht – erstaunliche Tiefenbohrungen beobachten lassen. So verhielt es sich zum Beispiel bei dieser nicht durch ein gemeinsames Oberthema auf Linie gebrachten Tagung, das schon die Reibung zwischen den ersten drei Referaten die Tagung auf Betriebstemperatur brachte. Alle drei Vorträge fokussierten Grundsätzliches und arbeiteten daran, den Diskurs aus dem fluffigen Reich der Mythen in die Realwelt des Konkreten zurück zu verpflanzen, dorthin, wo klare Begriffe und Definitionen zählen.

Mit dem Begriff der Innovation im Jazz hatte sich der Siegburger Kommunikationswissenschaftler Michael Krzeminski einem Thema zugewandt, das als Qualitätsmaßstab im Jazz – also unter den Musikern und Akteuren – als expliziter Begriff eher nicht vorkommt, im alltäglichen Gespräch von Jazz-Rezipienten, von Fans und Experten, untergründig jedoch höchst präsent ist. Zumindest im Sinne der Ablehnung von schierer Epigonalität oder eines andauernden ästhetischen Stillstands ist die Forderung nach Innovation eine stete Begleitmusik der Beurteilung von Jazz. Mit dem Begriffsbesteck des Soziologen entwickelte Krzeminski die verschiedenen Komponenten des Begriffs „Innovation“ – als komplexen Vorgang und Gegenbegriff zu der mit Wirkmacht weniger aufgeladenen „Novität“. Innovationen seien „als Ergebnis einer gesellschaftlichen Abstimmung über die Akzeptanz technischer Neuerungen/Verbesserungen“ aufzufassen, „das Neue und Bessere“ gelte nur dann als Innovation, „wenn es einen sozial akzeptierten Sinn erfüllt“. Mit Nachdruck entwickelte Krzeminski dabei die Komplexität der soziologischen Perspektive auf den Begriff der Innovation, nach der technische Neuerung sich nur dann in ihrem gesellschaftlichen Umfeld durchsetzen kann, wenn sie bei einem Besonders interessierten Fachpublikum mit der wirtschaftlichen und der technischen Kapazität, die neue Technik zu verbreiten, auf Resonanz stößt und sich in einem Fünfsprung von der Ingeniosität der Neuerung über ihre Publizität in der interessierten Öffentlichkeit und ihre später Inszenierung für ein breiteres Publikum  über den Status einer vergänglichen  Episode hinaus schließlich zum Signum einer ganzen Epoche entwickelt.

Provoziert von Vorschlägen aus der deutschen Jazzszene, Jazzhochschulen in «Black American Music Institutes» umzutaufen, und damit eine Art Eigentumstitel auf die musikalische Kunstform Jazz zu etablieren, der in der Konsequenz eine Hierarchie der Zugriffsberechtigung auf das Erbe des Jazz beinhalten würde, ging der Kölner Publizist Michael Rüsenberg unter der plakativen Überschrift „Wem gehört der Jazz“ den derzeit in den USA (und – mangelhaft übersetzt – längst auch in Europa und Deutschland) verbreiteten Bestrebungen nach, den Jazz als urwüchsig afroamerikanische Kunstform zu definieren und ihn moralisch im Sinne seines Ursprungsmythos für den Dienst an der Community der afroamerikanisch dominierten Gründer der Kunstform zwangszuverpflichten. Zunächst rekonstruierte Rüsenberg ein Thesengebäude des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers und Jazz-Forschers Gerald Early, der seine Abwehr einer „europäischen Jazz-Sensibilität“ an der nicht swingenden Improvisationsmusik von Keith Jarretts Köln Concert festmacht. Nach Early sei der Erfolg dieser Musik nur dadurch plausibel zu begründen, dass dem Publikum erst in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre deutlich wurde, dass Jarrett nicht afroamerikanischer Abstammung ist. Jarrett habe, das konzidiert Early, „sich nicht absichtlich“ als Schwarzer ausgegeben, aber „als sein Publikum in den späten 1970er Jahren sein Weißsein erkannte, hatte er in gewisser Weise das Problem der Authentizität in Verbindung mit dem Begriff des Privilegs neu aufgeschrieben.“ Und konnte damit erst so erfolgreich werden, wie er wurde. So schlicht konstruiert Early seine Gleichsetzungen zwischen Hautfarbe, Herkunft, sozialem Status, und einem Blutsrecht darauf, erfolgreich sein zu können. Ähnliche Argumentationsfiguren weist Rüsenberg in der Verschriftlichung eines Vortrags nach, den der Flötist und „Antirassist in der deutschen Jazzausbildung“, Vincent Bababoutilabo, beim 17. Deutschen Jazzforum 2021 in Darmstadt gehalten hat. Bababoutilabo, der von sich sagt, dass ihm das Hören von John Coltranes „Alabama“ den entscheidenden Impuls gegeben habe, sich politisch als Aktivist im Sinne antirassistischer Bildungs- und Organisationsarbeit zu engagieren. Doch seit er begonnen hat, in Leipzig Jazzflöte und Musikpädagogik zu studieren, sei ihm dieser Anschub in Richtung seines politischen Aktivismus nicht wieder begegnet, zumindest nicht als Teil des Studienprogrammes. Im Gegenteil, In einer etwas unvermittelten Abgrenzung zu der Musik von Beethoven, auf die sich Bababoutilabo zufolge „Menschen weltweit beziehen können, ohne dass die Musik und ihre Geschichte dabei weniger aufklärerisch werden“, ist die „Black Music“ offenbar weniger immun. „Wenn sich die Institute der sogenannten „westlichen Hochkultur“ Schwarze Musik aneignen, wird sie irgendwie weniger subversiv und weniger Schwarz.“ Bababoutilabos Schlüssel für diesen Widerspruch? Rassismus, ein Wort, das Bababoutilabo ohne jedwede Bemühung um kontextualisierende Differenzierung als ein Synonym für die Vorstellung eines privilegierten (=weißen) Bevölkerungsteils, anderen Bevölkerungsgruppen überlegen zu sein, versteht. Unter Ausblendung jedweder Diversität menschlichere Zugehörigkeiten und Seinsformen bleibt Bababoutilabo hier in recht plumpen Dichotomien verhaftet, schwarz – weiß, privilegiert – nicht privilegiert, deren konsequente Anwendung neue Kontaktsperren- und Zugriffshierarchien zu den Quellen und den Gründungsmythen des Jazz erzeugen würden. Beiträge europäischer oder gar weißer Akteure – von Akteurinnen ist in diesem Zusammenhang eher nicht die Rede – stehen in dieser Sicht eher nicht zur Debatte. Entstanden als eine afroamerikanische Musikform und damit per ethnischer Zugehörigkeit widerständig, besteht die Notwendigkeit, ihn gegen Vermischungen und Verstöße gegen Reinheitsgebote und andere Einflüsse aus der weißen Welt der Privilegien, zu imprägnieren.

Der Idee eines Primordialismus, der davon ausgeht, dass Gemeinschaften und Identitäten auf einer »wirklichen«, substantiellen Gemeinsamkeiten gründen, die wiederum bestimmte kulturelle Verfahren hervorbringen, korrespondiert ein weiterer Begriffskomplex, der derzeit in den Diskursen um den Jazz Konjunktur hat: der Begriff der „kulturellen Aneignung“, zumeist im Umfeld von kulturellen Begegnungen und Vermischungsprozessen in Form der Klage über die kulturelle Enteignung einer – aus welchen Gründen auch immer – unterlegenen Kultur durch die nun siegreiche Dominanzkultur. Auf derartige Debatten über Identitäts- und Besitzverhältnisse im Bereich des Jazz bezog sich Gerhard Putschögl (Frankfurt/Main) in seinem Referat „Reinterpretation/Covering unter der Perspektive der ‚kulturellen Aneignung’“. In einem ersten Schritt stellte Putschögl zwei widerstreitende Positionen zum Konzept der kulturellen Aneignung vor. Während der Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst in seinem Buch Kulturelle Aneignung (2021) die Standarddefinition der kulturellen Aneignung als „eigenmächtige Übernahme von Elementen einer unterdrückten Kultur durch die Angehörigen einer Dominanzkultur“ ausbreitet und die Frage nach der Gleichberechtigung der beteiligten Kulturen  in den Fokus rückt, hält die Philosophin Ursula Renz schon die Idee eines „kulturellen Eigentums“ für problematisch: „Denn Kultur ist immer auch Kulturtransfer.“ Dabei stellt sie nicht in Frage, dass es in den Debatten um „kulturelle Aneignung“ vor allem um die Wahrnehmung von Status- und Machtgefällen zwischen einer dominanten und einer Minderheiten-Kultur. „Aber das Aneignen selber, das ist Kultur. Das finden wir in der ganzen Kulturgeschichte immer wieder: in der Literatur, in der Musik, in der Philosophie.“

Anschließend diskutierte Putschögl die widerstreitenden Interessen bei der kulturellen An-/ Enteignung von musikalischen Formen im Bereich der Jazz- und Popmusikgeschichte anhand der zentralen Kriterien Respekt vs. Profitinteresse. Musiker wie die Trompeter Don Ellis oder Don Cherry oder der Gitarrist John McLaughlin, die sich intensiv mit den Musikkulturen beschäftigt haben, aus denen sie Elemente für ihre eigene Musik übernommen haben, seien demnach ebenso legitim wie in einer viel früheren Periode des Jazz die Übernahme von Elementen der Formensprache des Jazz ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob diese ihr Publikum vielleicht stören könnten. Prominente Gegenbeispiele wären die Original Dixieland Jass Band, eine rein weiße Band, die 1917 eher aus Zufall als aus musikalischer Relevanz die „erste“ Schallplatte mit Jazz (in dem Sinne, dass Jass im Namen der Band auftauchte und der Begriff Jass oder wenig später Jazz fortan als Gattungsbezeichnung weiterlebte) einspielten und mit Selbstbezeichnungen wie Columbus of Jazz (für den Bandleader und Kornettisten Nick LaRoca) schon frühzeitig die Klaviatur des Marketing bespielte.

Wie schwer es manchmal sein kann, zu unterscheiden zwischen Selbst-Identifikation mit einem bestimmten Musikstil und seiner Ausschlachtung für kommerzielle Zwecke, erläuterte Putschögl schließlich am Beispiel von Sting, dessen musikalischer Werdegang stark vom Einfluss des Reggae geprägt war, was ihm in den letzten Jahren einige Kritik unter dem Stichwort kulturelle Aneignung bescherte. Aufgewachsen in einem Viertel, in dem viele Bewohner aus Jamaica stammen, war er schon früh vertraut mit dem Reggae und betonte immer wieder, wie verbunden er dieser Musik und ihren Schöpfern ist. Deutlich wird an dieser Stelle, wie wacklig Zuordnungen zu bestimmten Gruppenidentitäten sind: Sprache, Religion, Race z.B., so schloss Putschögl, seien äußerst unzuverlässige Indikatoren.

Ein zweiter Themencluster thematisierte die Instrumentalisierung des Jazz im Kulturkampf der Systeme zur Zeit des Kalten Krieges. Konstantin Jahn (Dresden) verfolgte in „Henry Pleasants oder die Jazz-Hipster der CIA“ die Versuche des Leiters des CIA-Büros in Bonn, mittels des Freiheitsversprechens, das man dem Jazz (und auch der abstrakten Malerei) zuschrieb, kulturelle Geländegewinne gegenüber der zweifelhaften Attraktivität des sogenannten „realen Sozialismus“ zu erzielen, und stieß dabei auf eine sehr eigentümliche Balance zwischen der erstaunlichen kulturellen Modernität des Kreises um Henry Pleasants (und auch auf Seiten seiner deutschen Gegenüber in der Organisation um den umstandslos entnazifizierten Nazigeneral Reinhard Gehlen) und der Bereitwilligkeit ihrer Dienstfertigkeit im Umfeld ihrer geheimen Aktivitäten im Nebel des Kalten Krieges.

Als symmetrisches Gegenstück hierzu fungierte Rüdiger Ritters (Mainz) Vortrag „Ein zweischneidiges Schwert“, der seinerseits die Bemühungen, den Jazz seitens der Sowjetpropaganda in den Ländern des Warschauer Pakts nutzbar zu machen, darstellte. Ritter stellte dabei die verschiedenen Phasen dar von der offenen Verunglimpfung des Jazz als Ausdruck einer dekadenten Lebensweise über den Versuch seiner Domestizierung durch die Übernahme einzelner Elemente des Jazz über die Förderung des Volkslieds als Gegenmodell zur Abstraktion des modernen Jazz bis hin zu Versuchen der erstickenden Umarmung inklusive der persönlichen Einladung an den Radio-DJ Willis Conover, der im Gegenzug half, die Jazzszenen in den Ländern des Ostblocks zu vernetzen und ihren musikalischen Protagonisten auch im Westen bekannt zu machen.

Nach einer kurzen Aktualisierung, die Iwan Wopereis’ (Rotterdam) zum Fortgang seiner empirischen Erhebung „Music experts› knowledge on improvisational expertise: The RJR case“ auch über den Arbeitskreis Radio Jazz Research selbst angefertigt hatte, beschloss Christian Rentschs (Zürich) düsterer Bericht über jüngste Etat-, Sendeplatz- und Seriositäts-Kürzungen beim öffentlichen Schweizer Rundfunk unter dem Titel „Die Misere der Jazzkritik“, die einer ernstzunehmenden Jazzkritik kaum noch einen Hub Luft zum Atmen lassen, die Tagung.

Inntöne Festival 21.-23. Juli 2023 in Diersbach

INNtöne Festival

Musik aus dem hohen Norden und tiefen Süden:
Die Inntöne gehen wieder auf Weltreise

Ein Festivalbericht von RJR-Mitglied Oliver Weindling

Inntöne proves  Radio Jazz Research is not only about radio and jazz is totally wrong. And, with its Austrian ‘Ehrenmitglied’ Paul Zauner, it has a live music promoter here in his element. Carefully curating, being the genial host, on his own family farm.

Through his diligent research, we have a great idea of the cross section of quality jazz and improvised music which is around. Hardly as intimate as a club such as the Vortex, there is nevertheless a contact with musicians and indeed Zauner, who is often to be seen in the audience with a broad grin as he appreciates the music.

More than enough space for all, and an excellent choice of food and drink, the festival this year experimented and grew, using better its spaces such as the barn, where the festival used to be focussed before Covid.

While the music more than nods to its American roots, the selection of musicians had a strong European feel, as well as a great diversity.

There were a couple of ‘tributes’. First, more directly, a reworking of Mingus’s classic “The Black Saint and The Sinner Lady”, by saxophonist Clemens Salezny and Gregor Aufmesser, which allowed us to realise how a live performance of a classic can really add to our appreciation; and the other, more indirectly, David Helbock’s Austrian Syndicate, dedicated in name at least to Joe Zawinul, the Austrian keyboard trailblazer. Helbock is very much at the forefront of the band, relishing the opportunity to experiment, almost hyperactively, on his set of keyboards. Tempered by pianist Peter Madsen (equally a father figure of the Austrian scene especially in the west of Austria from where Helbock comes) and a trio of bass, percussion and drums. They balance the high energy and electricity which Helbock delivers.

The Austrian Syndicate was one of the daily energetic openers which would wake us up for the music ahead.

Similarly, we heard baritone saxophonist Helga Plankensteiner on Saturday with a tribute to the music – and outgoing personality – of Jelly Roll Morton. We were reminded of his other activities, such as gambler and pimp, as well as giving us a strong argument for his claim that he ‘invented’ jazz. A band which focussed on the lower registers, since in addition to Plankensteiner was bass clarinettist Achille Succi, sousaphone and drums.

Sunday’s opener was exciting as it was a chance to hear the first gig in a while of Tom Challenger’s Brass Mask. By slightly changing the lineup, apparently by force of circumstance as much as volition, he had an extra trumpet in Byron Wallen (who also doubled beautifully on conch shell) and used Caius Williams on electric bass (instead of tuba). It gave a good basis for new compositions, which were added to some of the band’s New Orleansy stalwarts.

Brass Mask was one of a particular feature on bands from London, of quite a variety. Xhosa Cole brought his quartet, and mesmerised with his Monk tunes in particular (where he brought on Byron Wallen and George Crowley as guests) but was highlighted by a solo version of Round Midnight.

There was also Freight Train, with Irish folk diva Cathy Jordan , egged on by Liam Noble and Paul Clarvis. Jordan is quite a blues shouter, and, behind her, Noble and Clarvis delivered their (dis)respectful takes on the music.

Zara MacFarlane took, I think, a couple of tunes to warm up. But by the end she had the audience in raptures with her jazz fused with soul, and her bubbly personality.

The other band from London was very different. Alexander Balanescu came with his string quartet. Perhaps best known nowadays for his arrangement of the University Challenge theme on TV, here he showed why this band had been at the forefront of the diversification of the string quartet repertoire. Especially effective was his violin rhapsodizing in the style of Romanian and Balkan folk musicians, reflecting his own roots in Romania.

Perhaps the closest to an ‘American’ quartet was that of saxophonist Hermon Mehari, born and brought up in Kansas.  But the name of the group ‘Asmara’ gives away his Eritrean roots, which are subtly infused through the set.

There was a strong focus on woman performers in addition to those mentioned above. Pianist Johanna Summer played a solo set, building on her classical reinterpretations. Then there were three all-female bands. Two contrasting trios, with ECM saxophonist Mette Henriette, playing a minimalistic Nordic set with piano and cello, and the punkish, heavy groove of the high energy French band Nout (on which more in Alison Bentley’s review from Suedtirol).  The repertoire could have felt unexpected with instrumentation of flute, harp and drums, as it grew from a quieter minimalistic start.

But also the all-star Scandinavian band of mesmerising percussionist Marilyn Mazur. Shamania gives a good indication of spirituality, here from a more northerly perspective, much of the music dating from the need to find new alternatives during lockdown. Balancing energy and giving a lot of freedom for musicians such as Danish saxophonist Lotte Anker, Norwegian trumpeter Hildegun Oiseth and Josefina Cronholm.

As much as the openers each day set us up, the closers on the main stage also balanced showmanship and technique. Brazilian accordionist Renato Borghetti, who played instruments of all sizes, was matched by the virtuosity of the rest of his band, reeds Pedro Figuereido, guitarist Daniel Sa and pianist Vitor Peixoto. And, finally on Sunday, Vieux Farka Toure built up the pace and volume steadily in a performance of desert blues, so that, by the end, we were all dancing as darkness fell.

But that wasn’t all, since the event also had us enjoying the history of jazz (in the farm’s barn) using some of the few US band leaders there, with Chanda Rule’s Sweet Emma band and veteran gospel/blues singer Janice Herrington and the jam in the pub (pigsty). By the way, on these we had a festival first, in that Paul Zauner broke one of his own rules of the festival, and joined in on trombone, only the second time in the 30+ years of the festival, he had blown his own instrument. Then on Sunday night the jam was graced with legendary 86-year old Kirk Lightsey, who had rushed over from London. Sounding like someone less than half his age, he played with an imagination that really placed him in the pantheon of Detroit great pianists which included Barry Harris and Tommy Flanagan. It boosted the rest of the band (led by Dmitry Baevsky on alto and Joe Manarelli on trumpet) who had already played well enough the night before with Oliver Kent on piano.

Wahlen

Bei der Mitgliederversammlung der 45. RJR-Tagung in Gütersloh (11. Mai 2023) wurden gewählt:
In den Vorstand: Lena Jeckel, Oliver Weindling und Dr. Bernd Hoffmann,
In den Beirat: Christa Bruckner-Haring, Dr. Andreas Felber und Arne Schumacher.

45. RJR-Arbeitstagung in Gütersloh | 11. – 12. Mai 2023

Gütersloh, 11.- 12. Mai 2023

Ort: Stadthalle Gütersloh // Hotel:  Holiday Inn

45. RADIO JAZZ RESEARCH-Tagung 

„Jazz und Kommunalpolitik“

In Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Gütersloh.
Programm Lena Jeckel / Bernd Hoffmann
Moderation: Arne Schumacher


„Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt“, sagt der chinesische
Philosophen Laotse vor vielen Jahrhunderten. „Alles Globale beginnt lokal“, lautet die leicht
zugespitzte Übersetzung, die die Arbeitsgruppe Radio Jazz Research, einem internationalen
Kreis von Diskurs-Agenten aus Jazz-Wissenschaft, -Publizistik und anderen Jazz-bezogenen
Arbeitsfeldern ihrer 45. Arbeitstagung unterlegt hat. Das Globale und das Lokale: „Jazz und
Kommunalpolitik“ ist das Thema einer Tagung, die Ansatzpunkte für viele erste Schritte
fokussiert.
Nach der Begrüßung de Teilnehmer:innen durch Andreas Kimpel, Kulturdezernent der Stadt
Gütersloh und den RJR-Vorsitzenden Bernd Hoffmann, bezieht sich der erste Teil der Tagung
auf das harte Brot der kommunalen Kulturpolitik. Die Geschäftsführerin des Kultursekretariats
NRW, Antje Nöhren, referiert über Potentiale der Förder- und Netzwerkstrukturen für die
Kultur in NRW und als Vertreter der Deutschen Jazz Union spricht Jan Monazahian über
Regionale Aspekte der Jazzvermittlung und Demokratieförderung. Im Anschluss kommt es zu
einem Gesprächspodium mit Andreas Kimpel, Emilian Tantana vom Jazzclub Bad Ischl und
Arnd Weidler vom Deutschen Jazzinstitut in Darmstadt.
Sozusagen nachholend entwirft der Psychologe, Jazz-Aktivist und Medienmacher Constantin
Sieg am folgenden Vormittag ein sehr konkretes Bild von der Jazzwirklichkeit in der
oberhessischen Provinz zwischen Bad Hersfeld und Universitätsstadt Marburg, die nicht nur
als Gründungsort der Union Deutscher Jazzmusiker (heute: Deutsche Jazz-Union) vor 50
Jahren eine wichtige Rolle in der Geschichte des deutschen Jazz spielte. Paul Zauner, Musiker
und Konzert- sowie Festivalveranstalter aus der österreichisch-deutschen Donauregion
hinterleuchtet das Zusammenspiel zwischen universitärer Jazzausbildung und den Fallstricken
der befassten Kommunalpolitik, während der Radiomoderator und -Autor Thomas Mau ein
Thema mit hoher politischer Relevanz unter seine Lupe nimmt: die wechselseitige Befruchtung
zwischen Rundfunkanstalten und dem vielgestaltigen Jazzleben in den Regionen, die sich seit
der Gründung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach dem 2. Weltkrieg immer
wieder bewährt hat.

Stefan Hentz

PROGRAMM:

Donnerstag: 11. Mai 2023, Raum K 21

Begrüßung: Kimpel /Hoffmann

15.00 Uhr:
Antje Nöhren (Kultursekretariat NRW, Gütersloh):
Potenziale der Förder- und Netzwerkstrukturen für die Kultur in NRW

16.00 Uhr:
Jan Monazahian (DJU):  
Politisch gebildet dank Jazz?
Einblick in regional verankerte Modellprojekte

17.00 Uhr:
Diskussion: Jazz und Kommunalpolitik  
Mit Andreas Kimpel (Stadt Gütersloh), Emilian Tantana (Jazzclub Ischl), Stefan Hentz (Freier Journalist)

18.00 Uhr:
Mitgliederversammlung mit Wahlen

20.00 Uhr Abendessen: Alex, Sprenger Str. 11, Gütersloh: 05241 16877

Freitag:  12. Mai 2023, Raum K 21

9.30 Uhr:
Constantin Sieg (RJR):
Bilder aus der Provinz

10.30 Uhr:
Paul Zauner (Festival InnTöne):
Verlinkungen: Universitäre Jazz Ausbildung & Kommunalpolitik

11.30 Uhr:
Thomas Mau  (Freier Journalist, WDR):
„Gut zu haben, aber nicht relevant“
Das Verhältnis zwischen Rundfunkanstalten und der Festival-Szene

13.00 Uhr Mittagessen 

44. RJR Arbeitstagung in Münster | 05. – 06. Januar 2023: Wildcard

Themen von Radio Jazz Research-Mitgliedern 

Wildcard ist ein wiederkehrendes Tagungsformat, in dem der Arbeitskreis Radio Jazz Research, nicht wie im Regelfall ein leitendes Thema aus verschiedenen Perspektiven ausleuchtet, sondern in einem thematisch offenen Reigen von Vorträgen, Referaten, Podiumsgesprächen die breit gestreute Kompetenz der versammelten Jazzhistoriker, -forscher und -publizisten in den Fokus nimmt.

Obwohl die Freiheit der Referenten bei der Wahl ihrer Themen freie Hand haben, ergeben auch bei der 44. Arbeitstagung am 5./6. Januar 2023 in Münster thematische Schwerpunkte und Überlappungen. Während Michael Rüsenberg (Köln) in seiner Erörterung der Frage „Wem gehört der Jazz“, Bestrebungen innerhalb der deutschen Jazzszene aufgreift, Jazzhochschulen in «Black American Music Institutes» umzutaufen, nähert sich Gerhard Putschögl (Frankfurt/Main) in seinem Referat „Reinterpretation/Covering unter der Perspektive der ‚kulturellen Aneignung’“ ebenfalls Fragen von Identitäts- und Besitzverhältnissen im Bereich des Jazz.

Ein zweiter Themencluster thematisiert die Instrumentalisierung des Jazz im Kulturkampf der Systeme zur Zeit des Kalten Krieges. Konstantin Jahn (Dresden) verfolgt in „Henry Pleasants oder die Jazz-Hipster der CIA“ die Versuche des Leiters des CIA-Büros in Bonn, mittels des Freiheitsversprechens, das man dem Jazz (und auch der abstrakten Malerei) zuschrieb, kulturelle Geländegewinne gegenüber der zweifelhaften Attraktivität des sogenannten „realen Sozialismus“ zu erzielen. Unser Gast, Rüdiger Ritter (Bremerhaven), dagegen untersucht mit seinem Vortrag „Ein zweischneidiges Schwert“, wie West und Ost in der Blockkonfrontation, den Jazz als Propagandawaffe nutzten.

Relativ unverbunden sind schließlich die Referate von Michael Krzeminski (Bonn), der unter dem Titel „Innovation im Jazz“ musikalische Innovationsprozesse im Jazz aus kommunikationssoziologischer Perspektive untersucht und Iwan Wopereis’ (Rotterdam) Nachbericht über die Anwendung seiner empirischen Erhebung „Music experts› knowledge on improvisational expertise: The RJR case“ auf den Arbeitskreis Radio Jazz Research selbst. Einen weiteren selbstreflexiven Akzent bildet schließlich Christian Rentschs (Zürich) Überlegungen über „Die Misere der Jazzkritik“ als Schlusspunkt der Tagung.

Wir erweitern die Tagung durch eine Präsentation der Deutsche Jazzunion zur „Jazzstudie 2022“ und einem ersten Einblick in das Projekt „Jazzpilot*innen“.

5. Januar 2023  14.30
Begrüßung: Frauke Schnell, Kulturamt Stadt Münster, Dr. Bernd Hoffmann RJR

5. Januar 2023  15.00 Uhr
Michael Krzeminski:

Innovation im Jazz 

Der Beitrag technischer Innovationen zum gesellschaftlichen Wandel gilt – u.a. durch kommunikationssoziologische Untersuchungen – als verhältnismäßig gut ausgeleuchtet. Wie verhält es sich jedoch mit Innovationen im Jazz? Welchen Rang hat hier Neues im Verhältnis zum Traditionellen, ergeben sich markante Innovationspfade oder gar Innovationssprünge aufgrund der Wechselwirkung mit anderen Gesellschaftsbereichen und welche Rolle spielt der geniale Erfinder? Sind Entstehung und Entwicklung des Jazz womöglich insgesamt kultureller Ausdruck neuzeitlicher Fortschrittssehnsucht? Im Vortrag wird versucht, Erkenntnisse der allgemeinen Innovationsforschung möglichst anschlussfähig für eine jazzkundliche Debatte aufzubereiten.

5. Januar 2023  16.00 Uhr
Michael Rüsenberg:

Wem gehört der Jazz?

Oder, warum deutsche Jazzhochschulen nicht in «Black American Music Institutes» umgetauft werden sollten

5. Januar 2023  17.00 Uhr
Gerhard Putschögl:

Reinterpretation/Covering unter der Perspektive der „kulturellen Aneignung“

Erfolgreiche Kompositionen und markante Stilkomponenten boten in sämtlichen musikalischen Genres von jeher Anlaß zur Nachahmung, Verarbeitung und Umdeutung. Anhand ausgewählter Beispiele werden hier unterschiedliche Aspekte der Adaption, der Reinterpretation, des Coverns beleuchtet: neben der Betrachtung von Details der musikalischen Verarbeitung und den z.T. bemerkenswerten soziokulturellen Auswirkungen dieser Vorgänge gilt es auch den Blick auf den Aspekt „kulturelle Aneignung“ (Distelhorst 2021) zu werfen.

5. Januar 2023  18.00 Uhr
Außerordentliche Mitgliederversammlung

6. Januar 2023  9.30 Uhr
Konstantin Jahn:

Henry Pleasants oder die Jazz-Hipster der CIA 

Henry Pleasants (1910-2000), amerikanischer Musikwissenschaftler und Jazz-Aficcionado, leitete  zwischen 1956-1964 das CIA-Büro in Bonn. Er war maßgeblich an der Gründung des Bundesnachrichtendienstes beteiligt. Für Pleasants und andere Kader der CIA war Jazz ihre ›secret sonic weapon‹  im Kalten Krieg. Die Ivy League-Zöglinge der CIA  förderten weltweit – und speziell in der BRD – Jazz und abstrakten Expressionismus im antikommunistischen Kulturkampf. Nicht selten, verbarg sich hinter dem progressiven Kulturverständnis, reaktionäre Machtpolitik.

6. Januar 2023  10.30 Uhr
Rüdiger Ritter:

Ein zweischneidiges Schwert:

Wie West und Ost im Kalten Krieg den Jazz als Propagandawaffe nutzten

 Seit den Forschungen Penny van Eschens und anderen ist bekannt, dass Jazz  von der US-Administration gezielt als Mittel zur psychologischen Kriegsführung im Kalten Krieg eingesetzt wurde. Weit weniger bekannt ist, dass auch die Sowjetunion und die Ostblockstaaten das traten, und zwar mit erstaunlicher Kreativität. Dr. Rüdiger Ritter zeigt in seinem Vortrag, wie die Kulturpolitiker auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ihr Gegenüber genau beobachteten und dann gezielt Einfluss auf den Jazz und das Jazzleben nahmen. Dabei verwendet er Archivmaterial aus amerikanischen, russischen, polnischen und deutschen Archiven.

6. Januar 2023  11.30 Uhr
Iwan Wopereis:

Music experts› knowledge on improvisational expertise: The RJR case

Improvisational expertise in jazz entails a dynamic mixture of musical knowledge, skills, and attitudes that is needed to improvise consistently and superiorly on a set of representative improvisational tasks. This study presents a group concept mapping (GCM) study that identifies critical constituents of improvisational expertise. Data collection in GCM consists of the generation, sorting, and rating of features. Data analysis includes multidimensional scaling (MDS), hierarchical cluster analysis (HCA), and semantic analyses. Musical experts (i.e., critics, musicians, researchers) of the German Radio Jazz Research (RJR) association took part in study. The participants generated 81 features of improvisational expertise. MDS, HCA and a semantic analysis resulted in a 7-cluster concept map. Skills, knowledge and attitudes related to individuality (uniqueness) were central to the map. The most highly valued (and teachable) features of expertise had to do with musical interaction (communication). The experts further acknowledged the value of musical exploration and (continuous) development of expertise. The map is a useful impetus for the (re)development of curricula in music education.

6. Januar 2023  12.30 Uhr
Christian Rentsch:

Die Misere der Jazzkritik

Einerseits soll der Beitrag zur kritischen Reflexion der eigenen Arbeit beitragen und  andererseits für Anregungen sorgen könnte, um die Bedeutung, die Relevanz und Aktualität der Fachpresse zu verbessern.

6. Januar 2023  14.30 Uhr
Jakob Fraisse/ Jan Monazahian:

Präsentation der Deutsche Jazzunion zur „Jazzstudie 2022“ und das Projekt „Jazzpilot*innen“.

Mit der „Jazzstudie 2022“ will die Deutsche Jazzunion einen Beitrag zu einem tieferen Verständnis für die Situation von Jazzmusikerinnen und Jazzmusikern in Deutschland leisten. Neben Veränderungen der sozioökonomischen Situation stehen in der „Jazzstudie 2022“ insbesondere die Auswirkungen der Coronapandemie auf die Berufspraxis und das persönliche Wohlbefinden im Fokus. Außerdem wird die Dokumentation des Kooperationsprojekts „Jazzpilot*innen“ der Deutschen Jazzunion und der Bundeszentrale für politische Bildung präsentiert.

ÄNDERUNGEN VORBEHALTEN

43. RJR-Tagung in Lübeck – Ein Resümee von Stefan Hentz

43. RJR-Tagung: Identitäten im Jazz

In Zusammenarbeit mit dem „Jazzpool Lübeck e.V.“ im Rahmen des Travejazz-Festivals.

Ein Resümee von Stefan Hentz

Nach „Identitäten“, Plural, fragte die 43. Arbeitstagung von Radio Jazz Research am 9. und 10. September in Lübeck, und schon in der Pluralbildung bildete sich die Fragilität statischer Konzepte von Identität ab. Wer auf den Begriff Identität zurückgreifen will, so scheint es, sollte eine Vielfalt von Identitäten oder Zuschreibungen voraussetzen, deren Nebeneinander erst die eine, von allen anderen unterscheidbare Identität eines Individuums beschreibt.

Mit seinen Überlegungen über Identitäten im Jazz, legte Michael Rüsenberg zur Einführung in die Tagung schon einmal eine funkensprühende Lunte an Konzepte, die mit dem Begriff der Identität versuchen, ästhetische Praktiken und Strategien im Jazz zu begründen. Im Anschluss an den Philosophen Wolfgang Welsch, der Identität trocken als die „singuläre Beziehung eines Gegenstandes zu sich selbst“ beschreibt, als ein „Amalgam aus Wahrheit und Dichtung, aus Realität und Wünschen“ und damit als eine „von Grund auf soziale Angelegenheit“, die man nicht aus sich selbst heraus entwickeln kann. „Wo immer man genauer nachforscht“, zeigt sich nach Welsch, „dass das, was angeblich rein national ist, in Wahrheit auf einem Mix internationaler und transnationaler Komponenten beruht“. Transkulturalität ist demnach „die Regel und die Realität“.

Dennoch, so zeigte sich im weiteren Verlauf der RJR-Tagung, lassen sich Aspekte der Beschreibung von Identität, lassen sich Gender, Ethnizität, Bildung, sozialer Status, und viele weitere, für die Beschreibung von realen Verhältnissen in dem sozialen Feld des Jazz mit Recht verwenden. Aus der Sicht eines Lehrenden, zu dessen Ethos es gehört, zu versuchen, allen seinen Studierenden gerecht zu werden, zäumte Andre Doehring, Leiter des Instituts für Jazzforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz seinen Vortrag „’They say I’m different’: Identitäten im und für den Jazz erkennen, verstehen und fördern“, am Beispiel einer Studentin auf, die zwar eine sehr talentierte, ausdrucksstarke und ideenreiche Sängerin sei, aber von den verschiedenen Regelsystemen, die die Akzeptanz vor allem im Bereich Jazz regeln, von entsprechenden stilistischen Vorschriften und Verhaltenscodes immer wieder abgeschreckt wurde und sich stilistisch mittlerweile auf ihren Ausgangspunkt zurückbesonnen hat: auf den scheinbar so machohaften Hardrock. Das didaktische Ideal der Horizonterweiterung konnte so offenbar nicht realisiert werden.

In eine ähnliche Kerbe schlug auch die Ethnomusikologin und Musikwissenschaftlerin Christiane Gerischer, die bis vor kurzem in Potsdam als Präsidentin die Fachhochschule Clara Hoffbauer leitete, die in ihren Ausführungen über weibliche Drummer im Jazz, mit der verbreiteten Wahrnehmung aufräumte, dass sich deren Lage schon wesentlich verbessert habe. Im Gegenteil: rein zahlenmäßig waren Frauen in den 1940er-Jahren, als viele der männlichen Kollegen in den Kriegsdienst eingezogen waren, besser vertreten als heute. Doch noch heute werden Schlagzeugerinnen (und für andere Instrumentalistinnen gilt dies analog) häufig so inszeniert, dass sie primär als Frau, Blickfang und Sexualobjekt und erst in zweiter Linie als die kompetenten Musikerinnen wahrgenommen werden, die sie sind. Konkret belegte Gerischer mit Ausschnitten aus Interviews mit Schlagzeugerinnen und Perkussionistinnen der aktuellen Szene (Mareike Wiening, Sasha Berliner, Kalia Vandever), dass weder die Zeiten der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts vergangen sind, noch jene des plumpen Anbaggerns. Und dass Frauen, um für das was sie tun, anerkannt zu werden, darin noch immer wesentlich besser sein müssen als ihre männlichen Kollegen, Mitbewerber, Konkurrenten. Wovon die interviewten jungen Schlagzeugerinnen aber auch berichten, das sind Agenten der Selbstheilung in der Szene, bereits etablierte Musiker und Musikerinnen mit fest geknüpften Netzwerken, die jüngeren Kolleginnen, von deren musikalischer Qualität sie überzeugt sind, als Mentoren mit Rat und Tat (und Weiterempfehlungen) unterstützend zur Seite stehen.

Mit sehr persönlich angelegten Beiträgen verschoben zwei aktive Musiker den Fokus der Tagung ein großes Stück weiter in Richtung Konkretion. Im Gespräch mit Arne Schumacher berichtete die Saxofonistin Holly Schlott, die man bis 2018 als Volker Schlott beispielsweise aus dem Saxofonquartett Fun Horns kannte, von der Prozesshaftigkeit ihrer Geschlechtsangleichung, die sie nicht als einen Sprung zwischen zwei binären Zuständen, männlich/weiblich, versteht, sondern als eine Ausweitung ihres Rollenrepertoires, die sie heute mit großer Emphase als durchaus lustvoll und bereichernd beschreibt. Obwohl die Geschlechtsangleichung ohne Zweifel eine starke Veränderung der empfundenen Identität bewirkt, ist sie für Schlott nicht mit einer Abspaltung ihrer vorherigen Lebensgeschichte als Mann verbunden, entsprechend gelassen reagiert sie, wenn sie als „Volker“ angesprochen wird oder verwendet auf aktuellen CD-Veröffentlichungen beide Vornamen. Allerdings verschweigt die Saxofonistin keineswegs, dass sie sehr lange gezögert habe, bis sie erst an der Schwelle zur Beendigung ihres sechsten Lebensjahrzehnts ihr öffentliches Geschlecht an das schon sehr lange empfundene angeglichen habe. Und dass sie sich sehr gewundert habe, dass es in der Jazzszene, sehr wenig Reaktionen auf ihre Geschlechtsangleichung gegeben habe, weder negative noch positive, was sie selbst mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen habe. 

Fernab von den binären Schattenspielen um gender, race, class, etc, die so häufig die Debatten um Identitäten prägen, demonstrierte der Pianist Sebastian Sternal auf der instrumentaltechnischen Mikroebene, wie man als Musiker aus dem Studium seiner Vorbilder ein Vokabular von melodisch, harmonisch, rhythmischen Kurzformeln für den Zweck der Improvisation entwickeln kann, das sich einerseits direkt aus dem Strom der Jazztradition (oder potentiell auch jeder beliebigen anderen Tradition) speist, und andererseits durch die persönlichen Vorlieben gefiltert und damit höchst individuell ist. Den grundlegenden Stimmerwerb im Sinne des Erwerbs einer eigenen, unverwechselbaren (Instrumental-)Stimme als Musiker verlegt er damit in den Bereich einer sozusagen bewusst gesteuerten Entwicklung von kleinen und kleinsten musikalischen Sinnpartikeln, die man eher als Silben oder Phoneme verstehen könnte, denn als Worte, Sätze, Absätze.

So sehr im Verlauf der 43. RJR-Tagung deutlich wurde, dass vor allem das Identitätsmerkmal Gender im deutschen Jazz des Jahres 2022 noch immer von großer Bedeutung für die Zugangsregelungen ist, (andere Identitätsmerkmale wie Hautfarbe, Religion, Bildungsgrad, soziale Herkunft, etc. wurden – wenn überhaupt – nur en passant thematisiert), so deutlich wurde auch, dass mit der Thematisierung von identitätsbezogenen Diskriminierungen allein, kaum wesentliche Fortschritte in Sachen Chancengerechtigkeit und Niedrigschwelligkeit zu erzielen sind. Zwar könnten Quotenlösungen möglicherweise ein anderes, diverseres und damit auch inklusiveres Binnenklima in der Jazzszene befördern, doch um wirklich näher an den Idealzustand einer Farbenblindheit in Sachen Identitätsmerkmalen heranzurücken, wäre es notwendig, auf der Ebene des konkreten Handelns Vorgehensweisen wie beispielsweise Blind Auditions bei Besetzungsfragen zu entwickeln, die Vorurteile weitgehend ausschließen. Mit der enormen Spannung zwischen der philosophischen Ebene der Begriffsklärung, in der die Sinnhaftigkeit der Auseinandersetzung über Fragen der Identitäten selbst bisweilen ins Schwimmen geraten kann und der von Sternal vorgestellten praktischen Ebene, auf der die Selbstkonstruktion von Identitäten jede Transzendenz abstreift und sich als eine sehr kleinteilige Arbeit an den Details des eigenen musikalischen Vokabulars erweist.

Rezension von Schmidt-Joos «Jazz Echos aus den Sixties»

Mit freundlicher Genehmigung von jazzcity.de

Siegfried Schmidt-Joos (Hg)
Jazz-Echos aus den Sixties
Kritische Skizzen aus einem hoffnungsvollen Jahrzehnt
Kamprad Verlag, 2022
228 S., 19.60 €

Am 22. Mai 1959 spielt der Saxophonist Ornette Coleman sein Album „The Shape of Jazz to come“ ein, darunter das Stück „Congeniality“; in seinem berühmten Quartett befindet sich u.a. der Trompeter Don Cherry.
Sechs Jahre später beurteilt der Jazzkritiker Werner Burkhardt (1928-2008) in einem Porträt über Don Cherry dessen Performance in diesem Stück so:
„Was jedoch gewinnt Don Cherry, wenn er darauf verzichtet, ordentlich Trompete zu spielen? Bei den ersten Aufnahmen, die er mit Ornette Coleman eingespielt hat, gewinnt er nichts. Da wohnen wir öffentlichem Üben bei, hören unsaubere Etüden, die ins Kämmerlein, aber nicht auf die Schallplatte gehören, und müssen unbewältigte Einflüsse konstatieren. In ´Congeniality´ auf der Atlantic-LP ´The Shape of Jazz To Come´ werden wir an Dizzy Gillespie erinnert, und das ist bei einem so ungelenkigen Trompeter wie Don Cherry ja ein peinlicher Griff nach den Sternen“.
Ein solcher Ton muss Nachgeborene und und auch Zeitgenossen heute überraschen, Ikonen wie Don Cherry werden heute durchweg pfleglicher und nachsichtiger behandelt.
Trotz dieser scharfen Kritik tritt Burkhardt Don Cherry aber nicht – wie man heute sagt – „in die Tonne“; er ringt mit seinem Urteil, er entdeckt durchaus Momente, wo der Trompeter zu sich selbst findet, zum Beispiel auf Sonny Rollins´ „Our Man in Jazz“, 1963 („Hier steht Don Cherry seinen Mann.“)
Wiederum Jahre später, bei einer Jam Session in Schwabing, („ich saß an meinem Tisch und versuchte gerecht zu sein“), trat Cherry an diesen heran und sagte: ´In fünfzig Jahren gehört das, was ich jetzt spiele, zur Tradition´. Also sprach Don Cherry, und auf diesen Ausspruch haben meine Freunde in Hamburg sehr trocken reagiert. Sie meinten: ´Na, der soll sich freuen, wenn in fünfzig Jahren überhaupt noch jemand seinen Namen kennt´.
Heute wissen wir: Don Cherry hat seine Münchner Prophezeiung so halbwegs überlebt, die anonymen Hamburger Freunde Burkhardts die ihre nicht.
Weitaus mehr als die Schärfe des Urteils und, ja auch, die Eleganz der Sprache, in der sie hervortritt, überrascht, nein verblüfft ihr Ort.
Werner Burkhardt äußert sich im Januar 1965 nicht dort, wo man ihn vermutet hätte: im Feuilleton oder im Radio – er äußert sich im „Jazz Echo“. Und das lag damals gar nicht offen zu Tage. Das musste man erst mal finden.
Das „Jazz Echo“ war quasi versteckt als 8-seitiger, monatlicher Einhefter im Magazin „Gondel“.
Das kannten wir Jugendliche selbstverständlich, von verschämten Blicken am Bahnhofskiosk. Man hätte es uns gar nicht verkauft, weil es schon mit dem Titelbild an uns Minderjährigen vorbei adressiert war: junge Frauen in Pose, im Badeanzug, später im Bikini.
Seit 1948 schaukelte das „Jazz Echo“ versteckt in der „Gondel“.
(Ein analoger Fall waren Ende der 60er die „Sankt Pauli Nachrichten“; erotisch zwar weitaus dreister. Aber – zuverlässig in der Information über alles, was damals über John Mayall, Peter Green oder Alexis Korner zu berichten war.)
Erster „Jazz Echo“-Redakteur war ein gewisser Joe Brown, das kaum verhüllte Pseudonym des ersten Radio-Jazzredakteurs in Deutschland: Joachim Ernst Berendt!
(Kleine Utopie am Rande: wäre heute ein ARD-JazzredakteurIn in seinem Job überlebensfähig, der auch nur ein kleine Jazz-Kolumne sagen wir im „Playboy“ betriebe?)
1959 übergibt Berendt alias Brown die Verantwortung an Siegfried Schmidt-Joos, sehr viel später einer seiner zahlreichen Gegner.
Schmidt-Joos, 86, war damals Jazzredakteur bei Radio Bremen, später (nicht nur für Jazz) beim Spiegel, beim RIAS und beim Sender Freies Berlin.
Gegenwärtig beschäftigt sich der „elder statesman der deutschen Jazzpublizistik“ (was, entgegen seiner Annahme, keinerlei ironischen Unterton besitzt) mit der Evaluierung seines umfangreichen Archivs.
Gegenüber „Es muss nicht immer FreeJazz sein“ (2021)
https://www.jazzcity.de/index.php/buecher/2552-siegfried-schmidt-joos-es-muss-nicht-immer-free-jazz-sein
bringt er mit seinem neuen Archivgang die, alles in allem, sicher gewichtigeren Funde ans Licht.
Dabei hält er sich nicht weiter auf mit der Komik, vielleicht auch Tragik des Publikationsortes, ein Jazzmagazin eingeschlagen in eine, nun ja, Sex-Postille (hier hätte er in einem luftigen Feuilleton bis an die Bordellnähe des frühen Jazz zurückschreiten können). Er hat eine Botschaft, es geht ihm darum, „sich an Auseinandersetzungen, wie wir sie damals führten, in einer Zeit noch einmal zu erinnern, die bezüglich des Jazz um sehr viel spannungsärmer und einschläfernder geworden ist. Ich gestehe mir übrigens zu, die Sixties nächst den Forties für das spannendste Jahrzehnt der Jazzgeschichte zu halten“.
Ob man dieser Perspektive nun zustimmt oder nicht, Schmidt-Joos´ Selektion reicht allemal für einige staunenswerte Beiträge, vermutlich ein „Best of Jazz Echo“ aus den sechzigern.
Bis auf den Herausgeber sind alle Autoren verstorben: Joachim Ernst Berendt (1922-2000), Ingolf Wachler (1911-1988), Werner Burkhardt, Manfred Miller (1943-2021), sowie die beiden Amerikaner Nat Hentoff (1925-2017) und Mike Zwerin (1925-2015).
Unabhängig davon, ob sie mit ihren Urteilen „richtig“ lagen, waren bzw. sind sie mehr oder weniger Stilisten. Ja, ihre Sprache ist zeittypisch: die Leser werden gesiezt, die Autoren schreiben auch über Frauen, vulgo: Sängerinnen; die Vorstellung, sich etwas anderem als des generischen Maskulinum zu bedienen, hätten sie mit der Formvollendetheit abgewiesen, in der sie Damen in den Mantel halfen.
Ja, sie schrieben eleganter, höflicher – und kritischer. Und eben das mag Zeigenossen wie Nachgeborene vielleicht doch am meisten überraschen. Zum Beispiel der sanfte Werner Burkhardt, dass er so mit Don Cherry umspringt. Oder Mike Zwerin, der ohne großes Aufhebens einen zentralen Glaubenssatz des Jazz („Wer derart zauberhafte Musik spielt, muss auch als Mensch so sein – davon bin ich überzeugt“) anhand von Miles Davis´ „Bissigkeit“ widerlegt.
Oder Manfred Miller, um des Urteils Schärfe selten verlegen. Im Jazz-Echo 8/1966 macht er den jungen Wolfgang Dauner einen Kopf kürzer („In diesem Sinne ist – gestatten Sie die soziologische Terminologie – der Jazz des Wolfgang-Dauner-Trios Ideologie, falsches Bewusstsein von der Wirklichkeit, das deren mögliche Veränderung gerade verhindert“.)
Yes, Folks, those were the days. Das ist nun wirklich ein Sound der Sixties; in bestimmten Kreisen hielt man ihn für soziologisch, obwohl er doch nur vulgär-marxistisch war.
Dass Miller derart mit Dauner umspringt (insbesondere dessen Album „Dream Talk/Trio 64“) muss im hier präsentierten Panorama des „Jazz Echo“ überraschen (es reicht von John Lee Hooker und Frank Sinatra bis Bill Evans und Eric Dolphy).
In Heft 9/1966 betätigt er sich nämlich (ähnlich wie in der legendären ARD-Sendung im Mai 1967) als eloquenter Advokat des im Kontext der Hefte ja stilistisch nicht so weit entfernten Peter Brötzmann.
Dass Miller vergisst zu erwähnen, im Juni 1967 an der Produktion von Brötzmanns „For Adolphe Sax“ beteiligt gewesen zu sein (und sie in Berendt´scher Manier im „Jazz Echo“ 10/1967 bespricht), mag als lässliche Sünde erscheinen gegenüber dem Lesevergnügen, das sich auch heute noch einstellt.
Wenn er en detail die Ablösung von überkommenen Strukturen beschreibt und seinem Motto folgt: „das einzig mögliche Kriterium zur Beurteilung einer neuen Musik (ist) ihre innere Stimmigkeit“.
Die sieht er bei Brötzmann als gegeben. Und man muss höllisch aufpassen, nicht auch die problematischen Annahmen mitzuverdauen, die sich darin verstecken. Sie zeigen sich in Sätzen wie diesem:
„Erst wenn der persönliche Ausdruck Form gewinnt, Objektivität also und Verständlichkeit, ist die Musik über den bloßen gutgemeinten, aber misslungenen Versuch hinaus“.
Objektivität und Verständlichkeit mit der Form der Musik gleichzusetzen – heikel.
Oder dieser hier, bis heute einer der zentralen Glaubenssätze des Jazz:
„Die Musiker sind identisch mit dem, was sie spielen. In einer musikalisch
hochdifferenzierten Sprache teilt sich Persönliches mit“.
Was erfahre ich „Persönliches“ über den Menschen Brötzmann in seiner Musik?
Sind John Lee Hooker oder Charlie Parker weniger identisch mit dem, was sie jeweils spielen?
Dieser Satz hingegen erweist sich 56 Jahre später eindeutig als falsch. Er bringt den Untertitel des Bandes („Kritische Skizzen aus einem hoffnungs-vollen Jahrzehnt“) in idealtypischer Weise zum Klingen:
„Die Avantgardisten des Peter Brötzmann Trios spielen heute, was für viele erst morgen schön sein wird“.
Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Man wird zudem gute Gründe finden für die Annahme, dass sie sich nie erfüllen wird – zumal sie die Frage miteinschließt, ob denn „gute“ Musik“ auch „schön“ sein müsse.
(Eine Überlegung, der Karl Rosenkranz schon 1853 seine „Ästhetik des Hässlichen“ entgegenstellte).
Es macht Spaß, ja es ist intellektuell ertragreich, in das Schreiben über Jazz vor 60 Jahren einzutauchen. Um den Jazz von damals – und auch den von heute – besser zu verstehen.

PS: Auf Seite 90 hat Schmidt-Joos oder sein Verleger ein- nein kein deep fake, sondern ein shallow fake hingemogelt: das vorgebliche Titelbild von Jazz-Echo 8/1966 kann unmöglich authentisch sein. Es zeigt einen schon recht fülligen Wolfgang Dauner sowie im Hintergrund Volker Kriegel. Beide mithin zu einem Zeitpunkt, da das Jazz-Echo schon etliche Jahre verklungen war.

Jazzpool Lübeck e.V.
Presseinformation


Jazz steht für Vielfalt und Akzeptanz
Erfolgreiche Tagung zusammen mit dem Radio Jazz Research e.V.

© Maximilian Busch


Die 43. Tagung des Radio Jazz Research ist zu Ende. Auf Einladung des Jazzpool Lübeck e.V. kamen
am vergangenen Wochenende vom 8. bis 10. September 30 Fachleute des Jazz in Lübeck zusammen, referierten und diskutierten umfassend zum Thema „Identitäten im Jazz“.

Die Teilnehmenden aus Musikwissenschaft, Journalismus, Musikliteratur, Medienredaktionen,
Spielstäten, von Festivals und ebenso Musikerinnen und Musiker erörterten im „Beichthaus“ des Europäischen Hansemuseums Fragestellungen zur Transkulturalität, zum Selbstverständnis von
Musikschaffenden im Jazz, zu spezifischen Gender-Aspekten, zur förderpolitischen Anerkennung des Jazz und natürlich zum Frauenanteil im Jazz und in der improvisierenden Musik.


In allen Beiträgen kam zum Ausdruck, dass Jazz und improvisierte Musik immer schon und weiterhin musikalische und ebenso außermusikalische Inspirationen von innen wie von außen geradezu benötigen, um sich, ganz im Sinne dieser Musik, stets weiterentwickeln zu können und damit für Musikschaffende wie auch für das Publikum spannend und interessant, aber auch überraschend zu bleiben. Jazz ist in seinem Ursprung eine global-offene Musik – und wird es aufgrund seiner Vielfalt und Akzeptanz auch bleiben.


Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus insgesamt fünf Ländern hatten abseits des Tagungsprogramms Gelegenheit zum Besuch des Europäische Hanse Museums und des Travejazz Festivals. Auch die Lübecker Musikschule stand für einen musikalischen Vortrag zur Verfügung.


Bernd Hoffmann, Vorsitzender des Radio Jazz Research, und Peter Ortmann vom Jazzpool Lübeck zogen eine positive Bilanz der Gespräche: „Nach Meinung unserer Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer war diese Tagung von einem hohen Niveau der Vorträge und anschließenden Aussprachen angesichts eines zeitaktuellen wie auch komplexen Themas geprägt. Dazu trug nicht zuletzt die inspirierende Umgebung der alten Hansestadt Lübeck bei.“


Unterstützung fand die Tagung beim Kulturbüro der Hansestadt. Die stellvertretende Stadtpräsidentin Silke Mählenhoff hatte die Tagungsgesellschaft zu Beginn der Tagung in der Hansestadt begrüßt.


Für weitere Informationen und Impressum:
Jazzpool Lübeck e.V., c/o Dr. Peter Ortmann, Hüxtertorallee 45, 23564 Lübeck, Tel. 0151 61 223 660, E-Mail ortmann@jazzpool-luebeck.de, www.jazzpool-luebeck.de

43. RJR Arbeitstagung in Lübeck | 08. – 10. September 2022

© Maximilian Busch

43. RJR-Tagung: Identitäten im Jazz

In Zusammenarbeit mit dem „Jazzpool Lübeck e.V.“ im Rahmen des Travejazz-Festivals.

Ein Resümee von Stefan Hentz

Nach „Identitäten“, Plural, fragte die 43. Arbeitstagung von Radio Jazz Research am 9. und 10. September in Lübeck, und schon in der Pluralbildung bildete sich die Fragilität statischer Konzepte von Identität ab. Wer auf den Begriff Identität zurückgreifen will, so scheint es, sollte eine Vielfalt von Identitäten oder Zuschreibungen voraussetzen, deren Nebeneinander erst die eine, von allen anderen unterscheidbare Identität eines Individuums beschreibt.

Mit seinen Überlegungen über Identitäten im Jazz, legte Michael Rüsenberg zur Einführung in die Tagung schon einmal eine funkensprühende Lunte an Konzepte, die mit dem Begriff der Identität versuchen, ästhetische Praktiken und Strategien im Jazz zu begründen. Im Anschluss an den Philosophen Wolfgang Welsch, der Identität trocken als die „singuläre Beziehung eines Gegenstandes zu sich selbst“ beschreibt, als ein „Amalgam aus Wahrheit und Dichtung, aus Realität und Wünschen“ und damit als eine „von Grund auf soziale Angelegenheit“, die man nicht aus sich selbst heraus entwickeln kann. „Wo immer man genauer nachforscht“, zeigt sich nach Welsch, „dass das, was angeblich rein national ist, in Wahrheit auf einem Mix internationaler und transnationaler Komponenten beruht“. Transkulturalität ist demnach „die Regel und die Realität“.

Dennoch, so zeigte sich im weiteren Verlauf der RJR-Tagung, lassen sich Aspekte der Beschreibung von Identität, lassen sich Gender, Ethnizität, Bildung, sozialer Status, und viele weitere, für die Beschreibung von realen Verhältnissen in dem sozialen Feld des Jazz mit Recht verwenden. Aus der Sicht eines Lehrenden, zu dessen Ethos es gehört, zu versuchen, allen seinen Studierenden gerecht zu werden, zäumte Andre Doehring, Leiter des Instituts für Jazzforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz seinen Vortrag „’They say I’m different’: Identitäten im und für den Jazz erkennen, verstehen und fördern“, am Beispiel einer Studentin auf, die zwar eine sehr talentierte, ausdrucksstarke und ideenreiche Sängerin sei, aber von den verschiedenen Regelsystemen, die die Akzeptanz vor allem im Bereich Jazz regeln, von entsprechenden stilistischen Vorschriften und Verhaltenscodes immer wieder abgeschreckt wurde und sich stilistisch mittlerweile auf ihren Ausgangspunkt zurückbesonnen hat: auf den scheinbar so machohaften Hardrock. Das didaktische Ideal der Horizonterweiterung konnte so offenbar nicht realisiert werden.

In eine ähnliche Kerbe schlug auch die Ethnomusikologin und Musikwissenschaftlerin Christiane Gerischer, die bis vor kurzem in Potsdam als Präsidentin die Fachhochschule Clara Hoffbauer leitete, die in ihren Ausführungen über weibliche Drummer im Jazz, mit der verbreiteten Wahrnehmung aufräumte, dass sich deren Lage schon wesentlich verbessert habe. Im Gegenteil: rein zahlenmäßig waren Frauen in den 1940er-Jahren, als viele der männlichen Kollegen in den Kriegsdienst eingezogen waren, besser vertreten als heute. Doch noch heute werden Schlagzeugerinnen (und für andere Instrumentalistinnen gilt dies analog) häufig so inszeniert, dass sie primär als Frau, Blickfang und Sexualobjekt und erst in zweiter Linie als die kompetenten Musikerinnen wahrgenommen werden, die sie sind. Konkret belegte Gerischer mit Ausschnitten aus Interviews mit Schlagzeugerinnen und Perkussionistinnen der aktuellen Szene (Mareike Wiening, Sasha Berliner, Kalia Vandever), dass weder die Zeiten der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts vergangen sind, noch jene des plumpen Anbaggerns. Und dass Frauen, um für das was sie tun, anerkannt zu werden, darin noch immer wesentlich besser sein müssen als ihre männlichen Kollegen, Mitbewerber, Konkurrenten. Wovon die interviewten jungen Schlagzeugerinnen aber auch berichten, das sind Agenten der Selbstheilung in der Szene, bereits etablierte Musiker und Musikerinnen mit fest geknüpften Netzwerken, die jüngeren Kolleginnen, von deren musikalischer Qualität sie überzeugt sind, als Mentoren mit Rat und Tat (und Weiterempfehlungen) unterstützend zur Seite stehen.

Mit sehr persönlich angelegten Beiträgen verschoben zwei aktive Musiker den Fokus der Tagung ein großes Stück weiter in Richtung Konkretion. Im Gespräch mit Arne Schumacher berichtete die Saxofonistin Holly Schlott, die man bis 2018 als Volker Schlott beispielsweise aus dem Saxofonquartett Fun Horns kannte, von der Prozesshaftigkeit ihrer Geschlechtsangleichung, die sie nicht als einen Sprung zwischen zwei binären Zuständen, männlich/weiblich, versteht, sondern als eine Ausweitung ihres Rollenrepertoires, die sie heute mit großer Emphase als durchaus lustvoll und bereichernd beschreibt. Obwohl die Geschlechtsangleichung ohne Zweifel eine starke Veränderung der empfundenen Identität bewirkt, ist sie für Schlott nicht mit einer Abspaltung ihrer vorherigen Lebensgeschichte als Mann verbunden, entsprechend gelassen reagiert sie, wenn sie als „Volker“ angesprochen wird oder verwendet auf aktuellen CD-Veröffentlichungen beide Vornamen. Allerdings verschweigt die Saxofonistin keineswegs, dass sie sehr lange gezögert habe, bis sie erst an der Schwelle zur Beendigung ihres sechsten Lebensjahrzehnts ihr öffentliches Geschlecht an das schon sehr lange empfundene angeglichen habe. Und dass sie sich sehr gewundert habe, dass es in der Jazzszene, sehr wenig Reaktionen auf ihre Geschlechtsangleichung gegeben habe, weder negative noch positive, was sie selbst mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis genommen habe. 

Fernab von den binären Schattenspielen um gender, race, class, etc, die so häufig die Debatten um Identitäten prägen, demonstrierte der Pianist Sebastian Sternal auf der instrumentaltechnischen Mikroebene, wie man als Musiker aus dem Studium seiner Vorbilder ein Vokabular von melodisch, harmonisch, rhythmischen Kurzformeln für den Zweck der Improvisation entwickeln kann, das sich einerseits direkt aus dem Strom der Jazztradition (oder potentiell auch jeder beliebigen anderen Tradition) speist, und andererseits durch die persönlichen Vorlieben gefiltert und damit höchst individuell ist. Den grundlegenden Stimmerwerb im Sinne des Erwerbs einer eigenen, unverwechselbaren (Instrumental-)Stimme als Musiker verlegt er damit in den Bereich einer sozusagen bewusst gesteuerten Entwicklung von kleinen und kleinsten musikalischen Sinnpartikeln, die man eher als Silben oder Phoneme verstehen könnte, denn als Worte, Sätze, Absätze.

So sehr im Verlauf der 43. RJR-Tagung deutlich wurde, dass vor allem das Identitätsmerkmal Gender im deutschen Jazz des Jahres 2022 noch immer von großer Bedeutung für die Zugangsregelungen ist, (andere Identitätsmerkmale wie Hautfarbe, Religion, Bildungsgrad, soziale Herkunft, etc. wurden – wenn überhaupt – nur en passant thematisiert), so deutlich wurde auch, dass mit der Thematisierung von identitätsbezogenen Diskriminierungen allein, kaum wesentliche Fortschritte in Sachen Chancengerechtigkeit und Niedrigschwelligkeit zu erzielen sind. Zwar könnten Quotenlösungen möglicherweise ein anderes, diverseres und damit auch inklusiveres Binnenklima in der Jazzszene befördern, doch um wirklich näher an den Idealzustand einer Farbenblindheit in Sachen Identitätsmerkmalen heranzurücken, wäre es notwendig, auf der Ebene des konkreten Handelns Vorgehensweisen wie beispielsweise Blind Auditions bei Besetzungsfragen zu entwickeln, die Vorurteile weitgehend ausschließen. Mit der enormen Spannung zwischen der philosophischen Ebene der Begriffsklärung, in der die Sinnhaftigkeit der Auseinandersetzung über Fragen der Identitäten selbst bisweilen ins Schwimmen geraten kann und der von Sternal vorgestellten praktischen Ebene, auf der die Selbstkonstruktion von Identitäten jede Transzendenz abstreift und sich als eine sehr kleinteilige Arbeit an den Details des eigenen musikalischen Vokabulars erweist.

43. RJR-Tagung: Identitäten im Jazz

In Zusammenarbeit mit dem „Jazzpool Lübeck e.V.“ im Rahmen des Travejazz-Festivals.

Wer bin ich? So einfach sie syntaktisch auch sein mag, ist die Frage nach dem, was jede Einzelne der Milliarden Menschen im Innersten ausmacht und sie von all den anderen unterscheidet, die Frage aller Fragen, diejenige, der sich jede und jeder zu stellen hat. Bin ich Mensch oder Cyborg, Tier oder Maschine? Mann oder Frau oder etwas ganz anderes? Alt oder jung, groß oder klein, rank oder dürr, stämmig oder etwas korpulenter? Ist meine Haut heller oder dunkler, mein Pass rot oder blau, grün oder gelb? Meine Religion mono oder poly oder vielleicht gar gänzlich agnostisch? Die Frage nach der Id-Entität, einer unabänderlich stabilen, an essentielle Eigenheiten gebundenen Grundlage einer Persönlichkeit, hat derzeit Konjunktur. Ist gleichermaßen Ansatzpunkt für politisch motivierte Ausschlüsse nach sozialen, genderpolitischen, rassistischen Kriterien, wie für die politische Kritik an solchen Ausschlussmechanismen.

Dabei ist unstrittig, dass das soziale und wirtschaftliche, spirituelle und kulturelle Umfeld, in dem man aufwächst, dass Klima, Ethnizität, Geschlecht, Sprache und noch viele weitere Faktoren Spuren und Narben in jedem und jeder einzelnen hinterlassen, tiefe Spuren, die sich bis in körperliche Codes einschreiben können. Und dass sich im hyperkomplexen Zusammenspiel einer infiniten Anzahl determinierender Faktoren möglicherweise so etwas wie ein mentaler Fingerabdruck der Persönlichkeit darstellen lässt.

Gerade im Jazz, der seine Entstehung einem kulturellen Verschmelzungsprozess verdankt, der die (von der Gewalt der Sklaverei und einem enormen Machtgefälle geprägte) Begegnung von Migrantengruppen aus Europa und Afrika auf amerikanischem Boden in eine neue, hybride musikalische Form übersetzte, in der Elemente musikalischer Praktiken aus den verschiedenen Herkunfts-Kulturkreisen legiert sind, hat die Frage nach der Identität jeder einzelnen Musikerin, nach ihrer unverwechselbaren, einzigartigen Stimme, ein sehr hohes Gewicht.

Zugleich stellt sich eine weiterführende Frage: Ist der Singular für die Frage nach der Identität einer Person die angemessene Dimension? Müsste man in den zunehmend komplexer gewordenen Gesellschaften, die jeden einzelnen mit zunehmend komplexeren Rollenanforderungen und Interaktionen weit über die Grenzen der eigenen Sozialisation hinaus konfrontiert, nicht das Konzept der Identität zumindest in den Plural erweitern: IDENTITÄTEN?

In seiner 43. Arbeitstagung umkreist Radio Jazz Research das Thema Identität in verschiedenen Radien. Die Palette reicht dabei von dem Thema Nachwuchsförderung über Fragen Geschlechterdisparität und nach dem Ausschlussfaktor Queerness, bis hin zu allgemeineren Diskussionen des Begriffs Identität und seiner Ausweitung im Anschluss an das Konzept der Transkulturalität, den der Philosoph Wolfgang Welsch zur Debatte stellte. Eine besondere Rolle spielt schließlich der Pianist Sebastian Sternal mit seinem Versuch, am Flügel ganz praktisch die Komplexität seiner Arbeit an einer Bestimmung einer Identität zu demonstrieren.

Text: © Stefan Hentz, Juni 2022
Bild: © Maximilian Busch, September 2022


43. RJR-Tagung: Identitäten im Jazz
8.-10. September 2022

PROGRAMM:
Programm: Bernd Hoffmann/Peter Ortmann
Moderation: Michael Rüsenberg

9. September:

ORT: Europäisches Hansemuseum, Lübeck (An der Untertrave 1):

9.30 Begrüßung: Stadtpräsident der Hansestadt Lübeck Klaus Puschaddel, Kultursenatorin Monika Frank, Jazzpool Lübeck Sven Klammer, Vorstand RJR Dr. Bernd Hoffmann

10.00 Michael Rüsenberg:
Identität? – Transkulturalität!
Ein paar philosophische Gedanken, eingesammelt bei Wolfgang Welsch

11.00 André Doehring:
„They say I’m different“: Identitäten im und für den Jazz erkennen, verstehen und fördern

12.00 Christiane Gerischer: 
Die Bedeutung des Mentoring für Frauen im Jazz am Beispiel von Schlagzeugerinnen

15.00 Holly Schlott, Saxofonistin/Komponistin aus Berlin, im Gespräch mit Arne Schumacher

16.00 Arvid Maltzahn / Peter Ortmann:
Jazz-Nachwuchs-Förderung am Beispiel von Jugendjazzorchestern und Jugend-jazzt-Wettbewerben

17.30 RJR-Mitgliederversammlung

10. September:
ORTE: Musikschule Lübeck / Europäisches Hansemuseum, Lübeck:

9.30 Sebastian Sternal (Musikschule):
«Do I have a voice?“ Die Suche nach der eigenen Stimme – Personalstile im Jazz

11.00 Oliver Weindling:
Political Identity in Jazz. A curse or a blessing?

12.00 Zur Abbildungen von Identitäten.
Round Table mit Andreas Felber, Lena Jeckel, Urs Johnen.
Moderation: Arne Schumacher

ÄNDERUNGEN VORBEHALTEN