13. Arbeitstagung in Remagen-Rolandseck | 28. und 29. Januar 2010

13. Arbeitstagung, 28. bis 29. Januar 2010 in Remagen-Rolandseck

Jazz & Business

Jazz und Business? Für hartnäckige Puristen und unverbesserliche Romantiker zwei vermeintliche Gegensätze, die Unvereinbarkeit von Himmel und Hölle. Das Image des Underdogs mit Elite-Bewusstsein lässt sie das Selbstmitleid pflegen und ein bittersüßes Klagelied anstimmen: den Randgruppen-Blues. Das Wort „Markt“ mögen sie im Glauben, nicht Teil desselben zu sein, noch geflissentlich überhören. Beim Wort „Vermarktung“ stimmen sie aber ein Requiem an: die Ballade vom Abschied von der Freiheit, also known as JAZZ.

Das Tagungsprogramm

  • Stefan Hentz Die Elbe ruft, der Jazz geht unter? Zur Hamburger Situation zwischen Kultur und Event
  • Arndt Weidler Deutscher Jazz fürs Ausland? „Exporthilfe“ durch das German Jazz Meeting
  • Reiner Michalke & Hans-Jürgen Linke Eine Perspektivverschiebung? Jazz im deutschen Feuilleton
  • Volker Dueck & Martin Laurentius The Next Generation Of Young German Jazz. Was das Jazzbusiness der Szene zurückgibt
  • Matthias Winckelmann & Nils Wülker Big Business? Small Business? Enja Records & Ear Treat Music
  • Paul Zauner Improvisierte Musik als „Kultur-Finanz-Faktor“? Die Vergabepraxis der nationalen Stiftungen (Initiative Musik & Bundeskulturstiftung)

Die Elbe ruft, der Jazz geht unter?

Hamburg & Business ist alles andere als ein Widerspruch. Eine Hansestadt mit großer Handelstradition, derzeit bemüht, ihr kulturelles Image aufzupolieren – hin zu einer chicen, Lifestyle-orientierten Metropole. Die Strategen der Hamburg Marketing GmbH wollen HH als Marke etablieren. Mehr Schein als Sein, monieren die Kritiker. Jüngst schlossen sich Künstler der Stadt zu einem Bündnis zusammen, um zu protestieren: gegen geplante Kürzungen im Kulturetat und gegen die Vermarktung eines hanseatischen Hochglanzimages ohne störende Schönheitsflecken. Ein neues, privat initiiertes Projekt im Spannungsfeld „zwischen Kultur und Event“ ist Elb-Jazz, mitten in die neu gestaltete Hafenstadt platziert: ein Ende Mai erstmals über zehn Bühnen gehendes Festival. Das Ziel: die kulturelle Belebung des Investorenraums Hamburger Hafen. Eine Veranstaltung, die sich an Jazzfreunde, aber auch an Touristen wendet und mit dem Reiz ungewöhnlicher locations lockt. Eine privatwirtschaftlich finanzierte Initiative, von der abzuwarten ist, wie sehr sie die eigene Szene mit einbindet. Man wird sehen. Und hören. Derweil tummeln sich Hamburger Jazzbands an der Waterkant ungleich wärmerer Gewässer, beim Jazzfestival in Dubai…

Deutscher Jazz fürs Ausland? „Exporthilfe“ durch das German Jazz Meeting

Mit Dubai hat Oslo klimatisch wenig gemein, wohl aber das gewinnbringende Glück des Öls. Wovon bisweilen selbst der Jazz profitiert. „That’s it! Enough! No more Norwegians!“, so der nach Remagen überlieferte Ausruf eines langsam an der nordischen Omnipräsenz verzweifelnden Besuchers des London Jazz Festivals. Angesichts des „gut geölten“ Exportsystems der Norweger kommt schnell das Schlagwort vom „Standortnachteil Deutschland“ auf. Auch Schweden, die Niederlande und Frankreich scheinen weiter im Bemühen zu sein, ihren Kreativkräften ausländische Märkte zu erschließen. In dieser Hinsicht aufzuschließen, ist Grundgedanke des 2006 ins Leben gerufenen German Jazz Meeting, einer im Zweijahresrhythmus stattfindenden Art nationaler Leistungsschau, bei der sich Bands mit zwanzigminütigen Kurzauftritten internationalen Festivalleitern und Veranstaltern präsentieren. Auch wenn aussagekräftige Ergebnisse über die Effizienz noch nicht vorliegen, so lässt sich feststellen, dass mittlerweile insbesondere jüngere Jazzmusiker aus hiesigen Breiten im Ausland mehr als zuvor wahrgenommen werden. Improvisatoren, die zudem offener für Marketing-Maßnahmen sind als die ältere Generation und die Scheu vor Öffentlichkeits-orientierter Selbstdarstellung abgelegt haben. Der langjährige Exportweltmeister Deutschland hat sich mit der Ausfuhr seines jazzmusikalischen Guts ebenso lange schwer getan. Doch es tut und bewegt sich was. German Jazz Meeting und Goethe sei dank.

Eine Perspektivverschiebung? Jazz im deutschen Feuilleton

Der in den letzten Jahren vollzogene quantitative und qualitative Aufschwung der hiesigen Szene ist unüberhörbar – indes, kaum „lesbar“. Im Blätterwald der Feuilletons taucht Jazz immer seltener auf, verdrängt vor allem vom Pop. Visuelle, weltanschauliche und (pseudo)soziologische Aspekte anstelle von musikalischen Analysen und Beleuchtungen. Jazz-Rezensionen: ein Format vom Aussterben bedroht. Neben (Zeilen-)Platzhirschen wie Oper und Neue Musik bevölkern die A- bis C-Prominenz der Stars und Sternchen des Pop, aber auch kultige Indie-Rockbands wie Vampire Weekend die Kulturseiten Eine Präsenz, die aus dem jazzenden Lager allenfalls – wenn überhaupt noch – dem guten (& bösen) alten Keith Jarrett zuteil wird. Popjournalisten wittern wachsende Freiräume für ihr botschaftsschwangeres Sendungsbewusststein. Jazzjournalisten ziehen die ökonomisch reizvollere Rundfunkarbeit vor, Feuilletonisten mit Jazz-Expertise werden immer rarer. Jazz scheint „nicht mehr Teil des Kultur-Kanons“ (Michael Rüsenberg) zu sein. Improvisiertes als Thema ist mehr denn je abhängig vom Interesse und Durchsetzungsvermögen einzelner Redakteure. Les Feuille(ton)s Mortes? Ein Blick ins benachbarte Ausland zeigt, dass für den Jazz nicht nur hierzulande die Kultur-Blätter verwelken. Ausnahme, wieder einmal: Norwegen…

The Next Generation Of Young German Jazz.

Bei den Fachzeitschriften sieht die Situation anders aus. Naturgemäß, möchte man meinen. Doch die aktuelle Lage in Frankreich, Italien und Österreich offenbart, wie wenig auch dieses Segment vor Einschnitten gefeit ist. Die Zahl der Abonnenten in Deutschland erweist sich demgegenüber als vergleichsweise stabil. In den Magazinen spiegelt sich nicht nur die einbrechende Hegemonie der Amerikaner und ein steigendes Selbstbewusstsein des europäischen Jazz, sondern auch das Wachstum der deutschen Szene. Jazz thing hat ihr u.a. mit „Homegrown“ eine eigene Kolumne gewidmet. Eine weitere Initiative ist die in Zusammenarbeit mit dem Label Double Moon Records entstandene CD-Reihe „Jazz thing Next Generation“: Junge Formationen aus dem deutschsprachigen Raum können hier ihr Debüt veröffentlichen und erhalten als Starthilfe für ihre Karriere einen Vertrag für ein (erstes) Album. Inzwischen ist daraus eine 31 Produktionen umfassende Serie geworden, die sich nach zu erwartenden Anfangschwierigkeiten „mittlerweile gut trägt“, so Volker Dueck von Double Moon Records. Dass mittlerweile zwei Drittel der Bewerbungen (Volker Dueck: „Einsendungen, die durchweg innovativer sind“) aus Berlin kommen, macht deutlich, wie sehr die Hauptstadt auch in jazzmusikalischer Hinsicht zum Epizentrum avanciert.

Big Business? Small Business?

Auch wenn das ökonomische Wagnis einer Debütreihe sich mehr oder weniger gut trägt, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Krise der Musikindustrie alles andere als überwunden ist. Im Gegenteil: „Der CD-Markt ist kollabiert“ (Dueck). (Legale) Downloads machen gerade einmal zehn bis zwölf Prozent des Umsatzes aus. Der Fachhandel droht gänzlich zu verschwinden, Fachgeschäfte mit Beratung lassen sich längst an einer Hand abzählen. Wie andere Firmen auch, so hat enja Records die Anzahl der Produktionen von einstmals 35 auf 15 pro Jahr reduziert. Wenn es einen Bereich gibt, in dem sich die Verkaufszahlen in letzter Zeit erhöht haben, dann im Rahmen von Konzerten. Ebenfalls nimmt die Zahl der Eigenverlage und Musikerlabel zu. Der Trompeter Nils Wülker hat als erster deutscher Musiker, der bei SONY unter Vertrag stand, den Schritt von einer Major Company hin zur Eigenvermarktung vollzogen. Und das mit Erfolg. Seine auf Ear Treat Music veröffentlichten Alben verkaufen sich „mittlerweile besser als zu Sony-Zeiten“, sagt Wülker. Jazzmusiker müssen eben auch in Überlebensfragen kreativ sein.

Improvisierte Musik als „Kultur-Finanz-Faktor“?

Eigeninitiative ist gefragt. „Man muss brennen, dann kann man die Musik auch verkaufen“, sagt Paul Zauner, Labelchef, Musiker, Veranstalter und Netzwerker, erfahren im Aufspüren und Umgang mit öffentlichen Geldern und Fördermitteln. Das Wissen um die Möglichkeiten, die sich durch Institutionen wie die Bundeskulturstiftung ergeben, durch das Förderprojekt für Zeitgenössische Musik, das Netzwerk Neue Musik oder das Fördermodell Initiative Musik, ist eines. Etwas anderes, sie für sich nutzen zu können. Da ist nicht nur ein bürokratisches Know-How vonnöten, das dem einer Behörde gleichkommt, sondern einmal mehr Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen. Auch und gerade gegenüber der Subventions-verwöhnten Neuen Musik und ihren Lobbyisten, im Vergleich zu den „verträumten Jazzern ungleich aggressiver in ihrer Akquise“ (Zauner).Neben vielen neuen Erkenntnissen hat Jazz & Business eine Binsenweisheit bekräftigt, die „so alt wie der Jazz“ (Ekkehard Jost) ist: Vieles, wenn nicht Alles hängt an der Initiative Einzelner, am Engagement von „Verrückten, die brennen“. So gilt die Losung – wie schon immer und jetzt erst recht: Packen wir’s an! „JAZZ WE CAN!“ lautete noch das zeitgeistige Motto beim JazzFest Berlin 2008 kurz nach der Wahl Obamas. Wir wär’s mit dem Slogan Spitzhacken-bewaffneter Straßenarbeiter in (dem jazzmusikalisch so lukrativen Markt von) Japan, die da rufen: „ENJA! ENJA!“ – „Hauruck! Hauruck!“