5. Arbeitstagung in Amsterdam | 14. bis 15. Februar 2008

5. Arbeitstagung, 14. bis 15. Februar 2008 in Amsterdam

Dutch Swings

Am 14. und 15. Februar 2008 trafen sich die Mitglieder von „Radio Jazz Research” mit holländischen Kollegen in Amsterdam. In den Niederlanden sind Jazz und improvisierte Musik gesellschaftlich weitaus stärker anerkannt als beispielsweise in Deutschland. Zahlreiche Hochschulen bilden Jazzstudenten aus. Die Szene stützt sich auf gefestigte Förderstrukturen. Das alle zwei Jahre von der „Dutch Jazz Connection” veranstaltete „DutchJazzMeeting“ ist eine spannende Leistungs- und Werkschau des holländischen Jazz. Auf größeren und kleineren Festivals – wie etwa das „North Sea Jazz Festival“ in Rotterdam oder der „ZomerJazzFietsTour” in Groningen – teilen sich holländische Musiker die Bühne mit internationalen Jazz-Acts. Mit dem Bimhuis/Musziegebouw in Amsterdam hat Holland eine der weltweit bedeutendsten Spielstätten für improvisierte Musik.

Das Tagungsprogramm

  • Paul Gompes Förderstrukturen in den Niederlanden
  • Sebastian Ohm/Susanne Alt Deutsche Jazzmusiker in den Niederlanden
  • Huub van Riel Besuch vom Bimhuis/Musziegebouw
  • Konzert Michael Moore
  • Vera Vingerhoed, Bert Vuijse, Ditmer Weertmann Jazz-Medien in den Niederlanden
  • Joop Mutsaers (Jazz in Arnhem) Jazzclubs in den Niederlanden
  • Michelle Kuypers (NSJF) Jazzfestivals in den Niederlanden: North Sea Jazz Festival

Anlass des RJR-Besuches lässt sich feststellen, dass es weniger mangelnde Kenntnisse über holländische Musiker und Bands gibt, der Informationsbedarf über Infrastruktur und kulturpolitische Rahmen- bedingungen entsprechend hoch ist. Daran hat sich – auf den ersten, flüchtigen Blick – seit Dekaden wenig geändert. 1986 schrieb Ekkehard Jost in „Europas Jazz 1960-80“: „Tatsächlich ist die Jazzszene in den Niederlanden seit geraumer Zeit in einem Maße organisiert, mit den kulturellen Institutionen des Staates liiert und durch diese subventioniert, wie dies in keinem anderen Land der Welt der Fall ist.“ 22 Jahre nach Josts Analyse fällt das Fazit kaum anders aus. Paul Gompes von der „Dutch Jazz Connection“ bringt Licht ins Dickicht der „Förderstrukturen in den Niederlanden“, klärt auf über Fonds und funds, ministries und subsidies. Und immer wieder fällt das Zauberwort Stichting, Stiftung.

Nicht minder kompliziert ist die Rundfunk-Struktur für den Außenstehenden. Ein Satz, der wohl am ehesten hängen blieb: „25 years ago we had much more jazz on radio than now“, ein ernüchterndes Fazit der Jazzredakteurin Vera Vingerhoeds. Das Thema „Jazz-Medien in den Niederlanden“ komplettieren der Print-Journalist Bert Vuijse und Ditmer Weertman vom „Nederlands Jazz Archief“.

Jazz in den Niederlanden: Das ist auch eine ästhetische Standortbestimmung. Was Kevin Whitehead in seiner Publikation „New Dutch Swing“ formulierte, wird in einem jüngst von der „Stichting Gaudeamus“, der „Stichting Donemus“ und der „Dutch Jazz Connection“ herausgegebenen Buch über (Improvisierte) Musik in den Niederlanden aufgegriffen. Im Einleitungskapitel „Typically Dutch“ (sic!) heißt es: „The very lack of uniformity and conformism, the atypical or even antitypical is, paradoxically, closer to what defines the typically Dutch: this doesn’t sound like Stockhausen, not like Adams, not like Sclavis, not like Marsalis, but it does sound good, this might well be Dutch music“.

Institutionalisiertes Epizentrum dieser Ästhetik und Haltung ist: das Bimhuis. Nach der RJR-Tagung im Bimhuis, ist der Abend den Konzerten vorbehalten. Der Abend eröffnet mit einem Konzert des Michael Moore Quintet, der Band eines US-Amerikaners, der vor 30 Jahren begann, engere Bande zur holländischen Szene zu knüpfen, und seit 1985 in Amsterdam lebt. „I was lost in New York, I didn’t know exactly what I wanted to do, and I wasn’t ambitious and I didn’t go out and talked to people about myself and all that”, schildert Moore im Interview mit Karsten Mützelfeldt seine Beweggründe, nach Amsterdam überzusiedeln. „So I was happy to live in Amsterdam! It seems like everything was much more relaxed and you didn’t have to spend 70 percent of your income on rent“. Auch wenn manche das jahrelange Mitglied des ICP Orchestra (jährliche Förderung: 94.299 €) rauer und lauter kennen. Mit seinem melancholisch-lyrischen Quintett sucht er einen Ausgleich zur extrovertierten freien Spielweise der Großformation.

Szenenwechsel: ein anderer jazzmusikalischer Spielplatz, das Café Alto. Dort spielt Susanne Alt, Altsaxofonistin. Die gebürtige Würzburgerin ist alles andere als eine ästhetische Gesinnungsgenossin Moores, als Wahlamsterdamerin teilt sie jedoch mit ihm eine Schicksalsgemeinschaft. In ihrem Vortrag am nächsten Tag berichtet sie mit dem ebenfalls in Holland lebenden Saxofonisten Sebastian Ohm über „Deutsche Jazzmusiker in den Niederlanden“. Darüber, dass es auch in den holländischen Konservatorien jenen Richtungsstreit gibt, die Spaltung in ein konservatives, verschultes, an Tradition und Handwerk orientiertes Studium auf der einen, und ein offeneres, stärker die eigene Originalität förderndes Studium auf der anderen Seite. Und dass angesichts eines sehr hohen Prozentsatzes deutscher Studenten weiterhin – wenn auch längst nicht mehr so spürbar wie noch vor einigen Jahren – eine latent antideutsche Stimmung herrscht.