20. Arbeitstagung in Rheinsberg (in Zusammenarbeit mit dem BuJazzO) | 15. bis 18. August 2012

Jazz & Pädagogik

Radio Jazz Research, 15.-18. August 2012, Rheinsberg

Die Mitglieder von Radio Jazz Research fragten vorsichtshalber zweimal nach: Die jungen Musikerinnen und Musiker des Bundesjazzorchester hatten tatsächlich den eben verklungenen Auszug der Jazz-Komponistin Maria Baptist vom Blatt gespielt. Das Bundesjazzorchester ist seit 25 Jahren gespickt mit Musikerinnen und Musikern des hiesigen Spitzenachwuchses. Während der 20. Radio Jazz Research Tagung in Rheinsberg, die zeitgleich zu dessen 50. Arbeitsphase stattfand, machte es seinem Ruf wiederholt alle Ehre.

Einblicke in die Probesituation der Komponisten und Dirigenten Maria Baptist, Niels Klein und Jiggs Whigham gehörten zum Programm der Tagung in Rheinsberg, die sich um das Thema „Jazz & Pädagogik“ drehte. Beschwingt von den die Tagung flankierenden Zusammentreffen mit dem Bundesjazzorchester vertieften sich die Mitglieder drei Tage lang in Diskussionen um Vermittlungsstrategien, Hochschulausbildung und Nachwuchsförderung.

Ekkehard Jost machte mit seinem Rückblick auf mittlerweile fast 50 Jahre Jazz an Hochschulen deutlich: Jazz als oral tradierte Musik lässt sich nur schwer in Unterrichtseinheiten pressen. Der Hochschulkosmos läuft Gefahr, gleichförmige Musiker zu produzieren, die nicht über trial & error zu ihrem eigenen Sound finden, sondern hochvirtuos das nachspielen, was schon da ist. Dieser Umstand wird durch die europaweite Gleichschaltung der Ausbildungen in Bachelor und Master verstärkt, wie die Hochschulprofessoren Dieter Manderscheid (Osnabrück), Florian Weber (Köln) und Thomas Zoller (Dresden) bestätigten. Einblicke in derzeitige Studienordnungen offenbarten den Anreiz, möglichst schnell credit points zu sammeln, aber nicht einer inneren Logik des Lernens zu folgen.

Dem steht gegenüber, dass man alleine in den USA an mittlerweile mehr als 200 Instituten einen Abschluss in Jazz machen kann, Tendenz steigend. Und das Niveau der heutigen Musiker sehr viel früher sehr hoch ist, was eine Szene weiterhin lebendig hält. Der Labelbetreiber Volker Dueck äußerte als erster den Wunsch, Musikern ein Bewusstsein für die Richtlinien des Musikmarktes zu vermitteln. Hier herrsche oft eine Diskrepanz zwischen der musikalischen Virtuosität und der Fertigkeit im Umgang mit Veranstaltern, Bookern, Journalisten und Förderern des Jazz.

Stuart Nicholson thematisierte ein Problem, was selten ausbleibt, wenn es um den Jazz geht. Wie können die jüngeren Generationen (wieder) begeistert werden? Vielleicht durch einen frühzeitigen Kontakt mit der Musik? Daran glaubt jedenfalls die Union Deutscher Jazzmusiker. Mit einer Mitgliederzahl von mittlerweile über 100 und einem erst kürzlich neu gewählten Vorstand hat sich die UDJ unter anderem das Ziel gesetzt, Jazz in den deutschen Unterrichtsplänen zu verankern.

Sebastian Scotney setzte dort an, wo öffentliche Bildung aufhört, bei privaten Stipendien. Diese fangen oft auf, was Hochschulen vermissen lassen, doch oft steckt natürlich der Wille nach einer Imagepolitur für die verantwortliche Firma dahinter. Augenscheinlich an dieser Stelle: Im Netzwerk der Vermittler des Jazz sind wirtschaftliche Interessen mittlerweile ein nicht zu unterschätzender Faktor.

Die Diskussionen der Tagung zeigten, dass die Defizite in der Vermittlung Improvisierter Musik an unterschiedlichen Stellen zu verorten sind. Eine Szene kann langfristig kein stabiles Netzwerk aufbauen, wenn sie sich ständig mit mangelnder Finanzierung und mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung konfrontiert sieht. Durch die Digitalisierung passiert außerdem eine Verschiebung der Verantwortungen. Wenn ein Musiker theoretisch nicht nur seine Musik sondern auch das Marketing, das Booking und die Promotion selbst übernehmen kann, welche Verantwortung kommt dann den Redakteuren, Veranstaltern und Labelmachern zu? Wie überlebenswichtig die angesprochenen außermusikalischen Fähigkeiten für die Jazzmusik sind, zeigt sich in ihrem Inneren selbst, wie Julia Hülsmann am Ende verdeutlichte. Die UDJ kranke vor allem an ihrer Handlungsunfähigkeit – weil sich keiner ihrer Mitglieder im Bürokratiedschungel zurecht findet.

Die Tagung in Rheinsberg wurde dankenswerterweise durch den Förderkreis Jazz e.V. ermöglicht, der dafür Mittel aus der Stiftung Deutsche Jugendmarke zur Verfügung stellte.

Text: Tinka Koch

Das Tagungsprogramm

Visionen, Wunder und Ernüchterungen

  • Prof. Dr. Ekkehard Jost: Jazzlernen einst und jetzt
  • Prof. Thomas Zoller: Bereit für den Augenblick – ein systematischer Ansatz

Demonstrationen des Bundesjazzorchesters
Praxisübungen mit ausgewählten Kompositionen – Bandleader: Prof. Maria Baptist, Prof. Jiggs Whigham und Prof. Niels Klein

Förderungs-Systeme

  •  Sebastian Scotney: „Tomorrow is the Question!“ – Traditional and New Ways leading to a Jazz Career
  • Jörg Heyd: Junge Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker im öffentlich-rechtlichen Rundfunk
  • Volker Dueck: Von den Trüffelschweinen der Musikindustrie – Förderungsansätze der Plattenlabels

Hochschul-Strategien zur Vermittlung des Jazz

  • Prof. Dieter Manderscheid: Musikhochschule Köln – Tradition und Zukunft
  • Prof. Florian Weber: Musikhochschule Osnabrück – Neue Perspektiven der Jazzvermittlung

Das kommende Jazz-Leben

  • Tinka Koch: Vom Motivieren und Desillusionieren – Fragen an die UDJ-Vorsitzende Prof. Julia Hülsmann zur aktuellen Situation der Jazz-Pädagogik
  • Prof. Stuart Nicholson: Is Jazz Education providing audiences of the future? – A look at changing audience demographics