28. Arbeitstagung in Luxemburg (in Zusammenarbeit mit music:LX) | 17. bis 18. September 2015

Länderschwerpunkt: Luxemburg

Luxemburg? Da war doch was? Ja klar, das ist das Großherzogtum im Zentrum Europas, oder vielmehr noch dessen gleichnamige Hauptstadt, gut 100.000 Einwohner, davon etwa ein Drittel Eingeborene, dazu Zugewanderte aus über 160 Staaten, reichlich gut situierte Mitarbeiter von EU-Institutionen, der angeschlossenen Beeinflussungsindustrie und der Jongleurskaste aus den Finanzinstituten. Besonders Frankreich und Portugal stellen nennenswerte Bevölkerungsanteile, aber natürlich auch die direkten Nachbarländer Belgien und Deutschland. Satter Wohlstand noch aus Zeiten von Schwerindustrie und Montanunion, den modernere Methoden der Kapitalakkumulation noch einmal aufblasen konnte. Souverän und höchst anpassungsfähig hat Luxemburg die Chancen ergriffen, die sich für das Land aus dem Anbruch einer Zeit, in der Produktion kaum noch eine Rolle spielt, ergaben: Luxemburg steht für Saar-Lor-Lux, Benelux, Europa – kurz: für ein Gemeinwesen an der Schnittstelle größerer Einheiten.

Wenn man so will, ist Luxemburg das zum eigenständigen Staat gewordene Bild all der realen und virtuellen Informations- und Ideenströme, die sich mit dem Nachkriegskonzept Europa verbinden. Im Guten (Vielsprachig- und -stimmigkeit) und nicht ganz so Guten (Dominanz der Finanzwirtschaft und die damit verbundene fadenscheinige Steuerzahlmoral, subventionsgieriger National-Egoismus) eine Metapher auf die Europäische Union. Was man bisher mit beidem, EU wie Luxemburg, eher weniger in Verbindung brachte, war eine Position als ein Zentrum lebendiger Kultur, und gar nicht dachte man im Zusammenhang mit dem Großherzogtum an Jazz, an zeitgenössische, improvisierte Musik. Doch in den letzten Jahren sind verstärkt gut ausgebildete und einfallsreiche Jazzmusiker internationaler Klasse aus Luxemburg (wie z. b. Michel Reis, Marc Demuth, Pascal Schumacher, Maxime Bender…) auf den europäischen Jazz-Bühnen zu erleben, und damit hatte die 28. Arbeitstagung der AG Radio Jazz Research am 17. und 18. September 2015 in Luxemburg (Stadt) ihren Anlass und die leitende Fragestellung gefunden. Ist es so? Wie kommt es? Und: kann das so weiter gehen?
Zunächst einmal, das ist die für die Teilnehmer der Tagung erstaunliche Quersumme aus den einleitenden Referaten von Manuel Ribeiro, des für Jazz zuständigen Redakteurs der Radiostation Radio 100,7 und Marco Battistella, der die Abteilung Musik im Luxemburgischen Kulturministerium leitet und vor gut 20 Jahren, im Jahr 1993, zur Gründungsgeneration ebenjenes Radio 100,7 gehörte, ist in Luxemburg alles anders. Karger, was das Engagement der öffentlichen Hand angeht, geradezu kahl. Sehr lange glich Luxemburg diesbezüglich einer Wüste, Kulturförderung blieb engagierten Privatiers vorbehalten, die ihren Interessen nachgingen und/oder sich ein Denkmal stiften wollten. Nicht einmal ein öffentlich-rechtliches Radio als Residuum eines öffentlichen Kulturauftrages oder einer anders gelagerten Verantwortungsethik gab es. Im Gegenteil, das privat betriebene Radio Luxemburg, das mit seinen enormen Reichweiten auch nach Deutschland hinein manch Älterem noch als eine wichtige Instanz der popmusikalischen Primärsozialisation im Gedächtnis haftete, bevor es nach der Zulassung privatwirtschaftlich betriebener Fernsehstationen in Deutschland als Tutti-Frutti-Sender RTL die letzten Fragmente eines guten Rufs verspielte, war lange Zeit eine Monopolstellung in Luxemburg zugesichert gewesen. 1991 entsorgte Radio Letzebuerg aus Gründen mangelhafter Publikumsresonanz die letzten Sendungen, die Jazz zum Thema hatten und räumte damit ein Themenfeld für das mittlerweile staatlich geförderte Radio 100,7, das mittlerweile mehr als 25 Stunden in der Woche mit mehr oder weniger ambitioniertem Jazzprogrammen füllt. Daneben gibt es mittlerweile noch einige kleinere Radios, vergleichbar den deutschen Bürgerradios oder offenen ​Kanälen, wie Radio ARA in Luxemburg-Stadt, bei denen Jazz einen festen Platz im Programm hat. Mit dem Jahr 1995, so referierte Battistella, als Luxemburg erstmalig zur „Kulturhauptstadt Europas“ geworden war, kamen die Verhältnisse ins Rutschen. Kultur musste her, und als sie da war, erzeugte Kultur Glücksgefühle, die es nun zu verstetigen galt. Gleichzeitig hatte die Begeisterung für das Kulturjahr eine der Grundvoraussetzungen für diese Verstetigung geschaffen: es gab nun eine Verbindung zwischen den Produzenten von Kultur und den Hütern der Schätze, und ein Bewusstsein für das, was sich mit dem Einsatz von Geld alles befördern ließe. Luxemburg investierte: zehn Jahre später gab es in Luxemburg-Stadt eine Philharmonie mit einem großen Konzertsaal mit bis zu 150 Sitzen, einem Kammermusiksaal für knapp 400 Hörer und mehreren kleineren Sälen für experimentellere Produktionen. In Esch, einem leicht verödeten früheren Zentrum der Stahlindustrie im Süden des Fürstentums entstand eine Konzerthalle für bis zu 7000 Zuhörer mit einem kleineren Saal für 1000 bis 1200 Zuhörer, mehreren kleinen Sälen und acht professionell eingerichteten Proberäumen und einem Studio für Demoaufnahmen, wo junge Bands ihre ersten Schritte zur Professionalisierung gehen können.
Zwölf Jahre später, im Jahr 2007, wurde Luxemburg zum zweiten Mal als Kulturhauptstadt Europas erwählt und konnte nun auf eine deutlich verbesserte Infrastruktur zurückgreifen. Eine Bestandsaufnahme seitens des Kulturministeriums verdeutlichte, dass auf dem Gebiet des Jazz die größten Schritte zurückgelegt worden waren. Längst verfügt Luxemburg über eine – angesichts der Landesgröße – stattliche Anzahl von Jazzmusikern, deren Klasse wiederum eine internationale Nachfrage nach „Jazz made in Luxemburg“ auslösten, wie sie aus anderen kulturellen Feldern nicht bekannt ist. Gleichzeitig sind viele dieser Musiker – die an Musikhochschulen im Ausland ausgebildet wurden – auch mitverantwortlich dafür, dass sich an Musikschulen im Land ein breites Ausbildungsangebot entwickelte, das teilweise eine Qualität erreicht, dass sich die Musikschüler vor den Studenten in den Anfangssemestern der Musikhochschulen in den Nachbarländern nicht mehr länger verstecken mussten.
In seinem gleichermaßen beeindruckenden wie kleinteiligen Referat „Kleines Land mit großen Talenten“ startete Marc Demuth, Bassist und Direktor der Jazzabteilung am Musikkonservatorium in Echternach einen Versuch, möglichst vielen der Verästelungen der Luxemburger Jazzszene nachzugehen, zum mindesten die wichtigsten der wichtigen Musiker vorzustellen, weitere Akteure der Szene, Veranstaltungsräume und – reihen, wichtige Ereignisse und Zusammenhänge der Szene kurz aber umfassend zu skizzieren. Vorweg erwähnte er eine Grundkonstellation, die die Wirksamkeit des Handelns im kulturellen Feld spürbar erhöht: Luxemburg ist klein. Alle Wege sind kurz, die geographischen wie die verwaltungstechnischen – wer hier ein Anliegen hat, muss nicht viele Hürden überwinden, um direkt mit der zuständigen Instanz, sprechen zu können. Nach Demuths Erhebung gibt es in Luxemburg etwa 120 – 130 professionell arbeitende Jazzmusiker mit einem Durchschnittsalter von 39 Jahren, wobei als professionell gilt, wer mindestens zwei Konzerte im Monat spielt. Die Basis für diese Zahl ist die gute Ausbildungssituation: Mit 8 übers Land verteilten Musikschulen und mobilen, über die Dörfer verteilten Unterrichtsmöglichkeiten bestehen öffentliche Lehrangebote für etwa 15.000 Musikschüler. Auf einer weiterführenden Ebene unterhalten drei Konservatorien spezifische Jazzklassen (Luxemburg, seit 1985; Esch, seit 1998; Echternach, seit ​2000), und schon weil es in Luxemburg keinen einzigen universitären Jazz-Studiengang gibt, haben
fast alle professionellen Jazzmusiker an einer oder mehreren Hochschulen im Ausland studiert, was den Musikern persönlich half, half, sich ein professionelles Netzwerk über die Landesgrenzen hinaus zu erarbeiten und in der Summe zu einer außerordentlichen ästhetischen Vielfalt der Jazzszene im Land beiträgt, Doch alle Qualifikation und Kreativität fiele auf unfruchtbaren Boden, gäbe es nicht die stillen Förderer und Ermöglicher der Szene, engagierte Persönlichkeiten, deren Engagement nicht daher rührt, dass sie sich selbst in erster Linie als Musiker sehen. In diesem Feld hob Demuth die handelnden Persönlichkeiten hinter zwei für das Geschehen im Land besonders wichtigen Initiativen hervor. In der Stadt Luxemburg selbst ist dies Marco Reusch, der seit 2004 zusammen mit dem Saxofonisten Jitz Jeitz federführend die Aktivitäten der Initiative Jazz in Luxemburg (JaiL) leitet, die aus dem Jazzförderclub Luxemburg hervor gegangen ist. Zuvor wirkte Reusch bereits seit 1993 im 1967 gegründeten Jazzförderverein, der von der Besonderheit profitiert hatte, dass die günstigste Flugverbindung zwischen den USA und Europa über das Fürstentum führte, weshalb sehr viele der tourenden Jazzmusiker ihre einträglichen Tourneen mit einem „Testgastspiel“ in Luxemburg begannen, bevor sie dann ausgeschlafen in Richtung Deutschland oder Frankreich weiter reisten. Sehr bald begann JaiL eine enge Zusammenarbeit mit dem Kongress- und Veranstaltungszentrum Abtei Neumünster (die von 1863 bis 1980 als Gefängnis genutzt worden war), die ebenfalls 2004 ihre Türen öffnete, begründete die sehr erfolgreiche Reihe „ApéroJazz “ am Sonntag Vormittag und initiierte hier auch drei über das Jahr verteilte Festivals. Möglich wurden diese Unternehmungen durch spürbare öffentliche Förderung und großzügiges Sponsoring durch eine Vielzahl von Unternehmen wie den italienischen Sportwagenhersteller Maserati, der in der Zwischenzeit (wie auch andere private Sponsoren) sein Engagement stark zurück gefahren hat. Im Jahr 2016 wird von den JAIL-Aktivitäten im ehemaligen Gefängnis wohl nur noch der „Apéro Jazz “ weitergeführt werden können.
In Redange im Osten des Fürstentums sind es die Betreiber des Club „Inoui“, denen Demuth seine Lanze bricht. Shlomit Butbul und Paul Glaesener stehen stellvertretend für die Betreiber des Clubs, der zwischen 2000 und der bis heute anhaltenden Unterbrechung des Veranstaltungsbetriebs im Jahr 2013 neben weiter gestreuten Angeboten an bis zu drei oder vier Abenden in der Woche ein
Jazzprogramm anbot. Die Musiker schätzten die exzellenten akustischen Bedingungen und den entsprechend respektvollen Umgang, und das Publikum strömte aus dem ganzen Land, aus verschiedenen sozialen Schichten, ethnischen und Altersgruppen. Zusätzlich gab es die Möglichkeit zu klanglich erstklassigen Mitschnitten, die von Musikern wich Pascal Schumacher oder Marc Demuth selbst gern genutzt wurde. Demuths Bedauern über die Unterbrechung des Veranstaltungsbetriebs ist groß.
In den Jahren seit 2009 ist auf staatliche Initiative noch ein weiterer Akteur in der Szene dazu gekommen, das Ex- und Support-Büro music:LX, das Patrice Hourbette nach dem Vorbild der AJC in Frankreich, wo er zuvor beschäftigt war, aufbaute. Mit mittlerweile vier Mitarbeitern unterstützt music:LX einerseits die Musiker aus Luxemburg bei den geschäftlichen Aspekten Ihrer Arbeit, hilft beim Verstehen von Vertragstexten und der Kalkulation von Produktionskosten. Andererseits verfügt über Etatmittel, mit denen es hilft, Projekte von luxemburgischen Musikern zu finanzieren. Und ganz eigentlich arbeitet es als Exportbüro konsequent daran, Konzerte und Auftrittsgelegenheiten für luxemburgische Musiker zu akquirieren und für sie den Zugang zu den entsprechenden Netzwerken von Veranstaltern, Promotern, Journalisten in Europa und den einzelnen europäischen Ländern auszubauen. Nachdem music:LX nach Aussage von Marco Battistella bereits im ersten Jahr seines Bestehens 140-150 Konzerte für luxemburgische Musiker organisieren konnte, hat sich die Zahl der Auslandskonzerte mittlerweile auf einen festen Sockel von 900-1000 Konzerten vervielfacht. Dabei sind die Konzerte von Jazzmusikern, soweit wiederum music:LX-Leiter Patrice Hourbette, mit Sicherheit die Zugpferde des luxemburgischen Kulturexports. Das Esxportbüro scheint damit der Faktor zu sein, durch den das Zusammenspiel einer neuen Kulturbegeisterung mit einer guten Ausbildungssituation und kurzen Wegen zwischen Akteuren und Unterstützern erst seine Dynamik entfalten kann. Allem Anschein nach, werden Jazzmusiker aus Luxemburg auch weiterhin ein deutlich bemerkbarer Faktor im europäischen Jazz bleiben.

Programm

Manuel Ribeiro (Radio 100,7)
Der Stellenwert des Jazz in den Rundfunknetzen Luxemburgs und Europa

Marco Battistella (Kulturministerium – Musik)
Kultur jetzt und heute – Eine Bestandsaufnahme der kulturellen Situation Luxemburgs

Marc Demuth (Festival Promoter – Musiker)
Luxemburg und Jazz – Kleines Land mit Großen Talenten

Interview mit den Künstlern Pascal Schumacher und Michel Reis

Gast Waltzing (Direktor der Jazzabteilung des Musikkonservatoriums Luxemburgs und Musiker)
Der Stellenwert des Jazz im Musikunterricht in Luxemburg

John Wecker
Die Geschichte des Jazz in Luxemburg